Vier Zeiten - Erinnerungen
gefragt. Es gab noch nicht jene Gepflogenheit, die in der Zwischenzeit mit der Kraft eines Unkrauts herangewachsen ist, nämlich sich schon beinahe von der zehnten Schulklasse an die Politik zum Lebensberuf zu wählen, und zwar auf den Himmelsleitern der Parteien. Natürlich ist keine Pauschalkritik dagegen angebracht. Es ist immer noch besser, das Interesse für Politik rumort sehr früh, als daß es gar nicht erst erwacht. Ohne Parteien ist demokratische Politik in einer Gesellschaft wie der unsrigen nicht denkbar. Auch gibt es zu allen Zeiten starke und beeindruckende Frühberufene, die sich je nach den Angeboten ihrer Epoche auf dem einen oder anderen Weg als junge Napoleons durchsetzen.
In der Mehrzahl der Fälle aber sind die jugendlichen Karrieristen bei uns keine rühmenswerte Stärke. Früh machen sie in den politischen Jugendorganisationen mit einer maßvoll provokativen Aufmüpfigkeit von sich reden. Wenn dann die ersten interessanten, nach oben offenen Mandate errungen sind, lassen sie sich allmählich domestizieren. Über eigenständige Erfahrungen in einer normalen Tätigkeit verfügen sie kaum oder gar nicht. Rückzugsmöglichkeiten in einen privaten Beruf besitzen sie selten. Allzu rasch droht ihnen dadurch eine ideelle und vor allem eine materielle Abhängigkeit von derjenigen politischen Instanz, deren Brot sie essen dürfen, sofern sie die dafür erwarteten Lieder singen.
Damals blieben wir Jungen von solchen Versuchungen also schon deshalb verschont, weil die Alten befanden, daß sie uns nicht brauchten, um uns zu regieren. Bekümmert waren wir darüber allerdings nicht. Uns bestimmte weit mehr ein elementares Bedürfnis nach politischer Unabhängigkeit. Wir wollten eigene berufliche Erfahrungen erwerben und uns möglichst eine ausreichende materielle Basis für später schaffen, um in unseren Dispositionen jederzeit frei zu bleiben.
Nun hätte in einem weiter verstandenen politischen Sinn bei der Berufswahl auch der öffentliche Dienst nahegelegen. Dafür gab es bei mir einige Ansätze, von denen aber nur einer ernst gemeint war.
Auf Anregung eines Ministerialdirektors des Auswärtigen Amtes schickte ich meine Unterlagen an die dortige Personalabteilung. Die beiden juristischen Staatsexamina und die Doktorprüfung hatte ich ganz ordentlich bestanden. Der zwei erforderlichen Fremdsprachen, Englisch und Französisch, war ich einigermaßen mächtig. Auch die damals stets gestellte Frage nach einer politischen Belastung durch das Dritte Reich konnte ich befriedigend beantworten; die zuständige Spruchkammer bescheinigte mir die Unbedenklichkeit mit dem Vermerk, ich sei vom Entnazifizierungsgesetz »nicht betroffen«. Das alles wurde in Bonn zunächst wohlwollend entgegengenommen. Das Amt avisierte mir die baldige Vorladung zu einer Zulassungsprüfung.
Dazu kam es dann aber doch nicht. Von höchster Stelle habe man abgewinkt, so wurde mir bedeutet. Wer konnte damit gemeint sein? Einen eigenen Außenminister hatten wir zu jener Zeit noch nicht. Adenauer war in Personalunion Kanzler und Außenminister. So hoch war aber die »höchste« Stelle gewiß nicht, an der ich gescheitert war. Der Alte konnte sich ja nicht auch noch persönlich um den Diplomatennachwuchs kümmern. Im übrigen hätte er auch wohl kaum an meinem Namen soviel Anstoß genommen, wie es ein anderer tat: der Staatssekretär des
Auswärtigen Amtes, Professor Walter Hallstein. Er war die Bedenken tragende höchste Stelle.
So etwas konnte man also damals im wieder frei gewordenen Teil Deutschlands erleben. Hatten wir die zuvor praktizierte Sippenhaft gemeinsam verdammt, so gab es nun vereinzelt solche Zeichen der Ängstlichkeit, die ich als schmählich und unsouverän empfand. Aber das half mir nichts, und schließlich ist auch kein berufliches Unglück daraus entstanden.
In der persönlichen Beziehung zu Hallstein folgte später ein vergnüglicheres Kapitel, da wir uns als Fraktionskollegen begegneten und Anfang der siebziger Jahre über die Ostverträge die Klinge kreuzten. Seine bahnbrechende Europapolitik an der Spitze der Brüsseler Kommission hatte ich in der Zwischenzeit hoch schätzengelernt, noch etwas höher als die nach ihm benannte Doktrin in der Deutschlandpolitik.
Meine zeitlich erste Chance zum Eintritt in den Staatsdienst hatte ich überdies aus eigener Schuld vertan. Dafür hatte es private Ursachen gegeben. Routinegemäß hatte ich am Ende meiner Referendarzeit den Antrag auf dauerhafte Übernahme in den
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