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Vier Zeiten - Erinnerungen

Titel: Vier Zeiten - Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard von Weizsäcker
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Delegation der EKD, zu welcher der damalige Ratsvorsitzende Bischof Scharf, Professor Raiser und ich gehörten, führte Gespräche mit den Vorständen der politischen Parteien. Von der CDU kamen Ernst Lemmer und Johann Baptist Gradl. Sie waren über die Wirkung der Denkschrift beunruhigt, stellten sich aber der Diskussion mit Ernst und Aufrichtigkeit. Dies gilt vor allem für Gradl, der die weitere außenpolitische Entwicklung ziemlich klar vorhersah und alles in seinen Kräften Stehende beitrug, um Vertriebenen und Verfolgten zu helfen, mit ihrem schweren Los fertig zu werden.
    Für die SPD sprachen Fritz Erler, Herbert Wehner und Helmut Schmidt mit uns. Ihr Wortführer war Erler. Er argumentierte verantwortungsvoll, klug und behutsam, während Wehner nur selten, dann aber wie ein Vulkanausbruch auf uns eindonnerte, wir in der Kirche hätten die Folgen unserer Vorschläge ja nicht auszubaden. Überdies war er, wie auch Schmidt, ein häufiger Teilnehmer an Kirchentagen.
    Insgesamt wurde von den Parteiführungen die Legitimität der Denkschrift nicht ernsthaft bestritten und ihr Einfluß auf die immer unumgänglicher gewordene Diskussion der Thematik mehr oder weniger vernehmbar begrüßt, wie auch die Resonanz in der Öffentlichkeit überwiegend positiv war.

    Zwei Jahre später folgte in derselben Kammer eine zweite Arbeit, die unter dem Namen »Friedensaufgaben der Deutschen« veröffentlicht wurde. Wir hatten sie auf zahlreichen Sitzungen fast ausschließlich in Ostberlin beraten und beschlossen. Ihr Inhalt kreiste um das Thema Verantwortungsgemeinschaft der Deutschen. Die Verfasser waren Erhard Eppler, damals Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, und ich. Er war aktiver Politiker, ich dagegen noch nicht.
    Später hatten wir beide manche Auseinandersetzung über die Grundsatzprogramme unserer Parteien, an deren Konzeptionen und Texten jeder von uns viel gearbeitet hatte. Zugleich hatten wir aber auch übereinstimmende Erfahrungen, zum Beispiel die, daß Parteien sich im allgemeinen mehr für Wahlkämpfe interessieren als für Grundsatzprogramme. Vielleicht waren meine Schwierigkeiten da noch etwas größer als die seinen. Außerdem hatte jeder von uns seine persönlichen Meinungen, die er in der eigenen Partei lieber deutlich äußerte als verschwieg. In den Zentralen gab es Leute, die uns beide damit aufziehen wollten, daß sie uns gelegentlich »Brüder im Grundsatz« nannten. Warum auch nicht? Ich bin Eppler in der Kammer und im Kirchentag oft begegnet und habe ihn gründlich schätzengelernt. Es mag sein, daß uns manchmal ein kleiner Ausgleich zwischen seinem Idealismus und meiner Nüchternheit ganz gutgetan hätte. Gleichviel, seine Gedanken sind klar und interessant, seine Haltung aufrichtig, seine Verabredungen zuverlässig. Als politischer Schriftsteller fällt er ganz aus dem Rahmen, weil sich die Lektüre seiner Texte immer lohnt. Viele von uns haben sich im Laufe der Jahre der niemals einfachen Aufgabe unterzogen, zu den Jahrestagen des 17. Juni 1953 zu sprechen. Unsere Landsleute im Osten haben stets sehr empfindsam zugehört, wie wir unbeteiligten westlichen Zuschauer über ihre Erlebnisse redeten, so als ob es unsere Verdienste und Heldentaten gewesen wären. Ich erinnere mich an keine in der Sache und im Ton so eindrucksvolle Rede aus diesem Anlaß wie an die Ansprache, die Erhard Eppler am
17. Juni 1989 im Bundestag hielt, also wenige Monate vor dem Ende der SED-Herrschaft.
    Etwas, was uns wohl auch stets verbunden hat, waren die Erfahrungen bei der politischen Mitarbeit in kirchlichen Gremien. Sie waren oft eine Ermutigung für uns und zuweilen auch eine Erholung gegenüber der Atmosphäre in unserem professionellen politischen Alltag.

Erste Fühlung mit Helmut Kohl
    Die Ost-West-Politik war nun im Übergang aus der Ära Adenauer in die Zeit von Brandt. Die Gesellschaft und in ihr die Kirchen mit ihren Denkschriften und Briefen spielten gerade während dieses Transitoriums eine größere Rolle als davor und danach. Daran war auch ich beteiligt. Dennoch blieben natürlich die politischen Instanzen die verantwortlichen Akteure für jede Weichenstellung. Wie sich dies für mich selbst auswirkte, will ich kurz beschreiben, ehe ich den Fortgang der politischen Entwicklung schildere.
    Aufgrund der ostpolitischen Arbeiten und Diskussionen war ich mit einem Bein bereits in der Politik, aber nach wie vor, ohne ein Wahlmandat zu haben oder zu suchen. Es war jedoch schon kurz davor zu einer

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