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Viereinhalb Wochen

Viereinhalb Wochen

Titel: Viereinhalb Wochen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Bohg
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unser Kind leben?«
    Professor Chaoui überlegte. Es war deutlich zu sehen, dass ihm seine Antwort nicht leichtfiel: »Eine Stunde? Eine Woche? Vielleicht stirbt es bei der Geburt, vielleicht vor der Geburt, vielleicht nach der Geburt. Vielleicht in zehn Jahren, vielleicht in vierzig Jahren? Wenn es überlebt, wird es jedenfalls die höchste Pflegestufe haben. Wie lange es leben kann, weiß ich aber nicht …«
    Diese Antwort stürzte uns von unserem tiefen Abgrund, in dem wir uns seit der Diagnose befanden, in einen noch tieferen.
    Vielleicht würde ich fähig sein, ein behindertes Kind auf die Welt zu bringen – das kam mir zumindest möglich vor. Vielleicht wäre ich in der Lage, mich um ein so hilfloses wie hoffnungsloses Neugeborenes zu kümmern – da war ich mir ganz und gar nicht sicher, aber es war doch denkbar. Aber hätte ich die Kraft, vierzig Jahre meines Lebens einem Pflegefall zu widmen? Dieser Gedanke war so unfassbar, dass ich ihn kaum zu denken wagte. Wie alt wäre ich in vierzig Jahren? Zweiundsiebzig?
    »Sicher ist nur, dass das Kind nichts können wird. Es wird vom Kopf abwärts gelähmt sein. Vielleicht wird es selbständig atmen können oder schlucken, aber ich glaube eher nicht. Mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit bekommt es nichts mit, weil das Gehirn stark geschädigt sein wird. Dem Kind steht – wenn es denn überhaupt je leben wird – ein Leben mit Schwerstbehinderung bevor.«
    Wahrscheinlich sahen wir so betroffen aus, so verzweifelt, dass der Arzt noch etwas sagen musste, um der Stille in dem Raum und unserem Schluchzen etwas entgegenzusetzen.
    »Das ist eine Vermutung, nicht mehr, es ist keine Sicherheit«, sagte er, »wir kennen keinen Fall mit so einer Diagnose, bei dem sich die Eltern für das Austragen entschieden haben. In den seltenen Fälle, die wir hier hatten, haben sich die Paare alle für eine Abtreibung entschieden.«
    Dann bat er mich auf die Liege, um noch einmal mein Baby zu schallen. Wieder spürte ich das kalte Gel auf meinem Bauch. Wieder saß Tibor weinend neben mir, meine Hand fest in seiner. Dieses Mal weinte auch ich bitterlich. Wieder sahen wir unser Kind auf dem riesigen Monitor vor uns, und wieder war klar, dass dieses Kind keine Chance hatte. Jetzt konnte auch ich den Auswuchs am Hinterkopf deutlich sehen, die sogenannte Cele, diesen Hautsack mit dem darin austretenden Gehirn und Rückenmark des Kindes – oder zumindest bildete ich mir das ein. Es war so hart für mich, dass ich es nicht mehr aushalten konnte.
    »Machen Sie bitte diesen verdammten Bildschirm aus, ich kann es nicht mehr sehen.« Ich glaube, ich sagte das ziemlich vehement, aber ich hatte einfach nicht mehr die Kraft, diesen Knubbel riesengroß vor mir zu sehen, diesen Knubbel, von dem ich wusste, dass er meinem Kind das Leben nehmen würde.
    Professor Chaoui reagierte verständnisvoll und schaltete den großen Monitor ab. Er schallte noch kurz weiter, um dann auch sein Gerät abzuschalten, mit einem Achselzucken. Es war nichts zu machen, das sah ich ihm an.
    Er klärte uns noch über die Risiken der von uns gewünschten Punktion auf, die allerdings sehr gering wären. »Wir müssen zwar mit der Nadel direkt in die Plazenta, aber wir können die währenddessen im Ultraschall genau lokalisieren. Doch lassen Sie uns das morgen machen. Sie sind heute schon so beansprucht, seelisch, psychisch, so verkrampft, das ist nicht gut. Lassen Sie uns das morgen machen …«, wiederholte er fast bittend.
    Mir war das nur recht, denn ich war wirklich am Ende. Ich hoffte auf Erlösung, auf Ruhe, auf Schlaf. Ich wollte nur noch abschalten, nichts sonst.
    »Können wir in dieser Situation ein paar Tage wegfahren, an die Küste?«
    »Natürlich. Es können zwar immer Komplikationen auftreten, Fieber, Wehen, Blutungen, aber Sie fahren ja nicht in den Dschungel. Kommen Sie erst einmal zu sich, nehmen Sie sich alle Zeit, die Sie brauchen. Ich versichere Ihnen schon jetzt, dass wir jede Entscheidung mittragen, die Sie fällen werden.«
    Überrascht sah ich den Arzt an – dafür hätte ich ihn glatt umarmen können! Jetzt wusste ich, dass er uns nicht drängen, uns zu nichts zwingen, uns nicht im Stich lassen würde.
    »Sie können jederzeit zu uns in die Praxis kommen!«
    Mehr konnte ich im Moment nicht verlangen, das wusste ich, und einen besonderen Status genossen wir ohnehin in dieser Praxis, die uns in den letzten Stunden wie unsere ganze Welt vorgekommen war: Auf unserer Akte sah ich einen

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