Viereinhalb Wochen
Julius Felix, unser kleiner Klopfer,
zwei einfache blaue Streifen haben Dich angekündigt. Überwältigt von unserem Glück und übersprudelnd vor Freude haben wir getanzt. Unser Wunschkind – unser Baby war auf dem Weg. Mama hatte die ersten drei Monate ziemlich zu kämpfen, weil ihr immer so schlecht war. Und da Erdbeeren ganz groß auf ihrem Speiseplan waren, haben wir Dich kurz entschlossen »Erdbeere« getauft. Nie vergessen wir den überwältigenden Anblick Deines schlagenden Herzens und wie Du Dich aus einem kleinen Zellhaufen zu einem Baby entwickelt hast.
In den sieben Monaten, die wir mit Dir verbringen durften, hast Du unser Leben komplett auf den Kopf gestellt und einen neuen Sinn gegeben. Du hast unser Herz weit weit geöffnet. Zwei Herzen warteten auf Dich, Dich zu – …
Mir versagte die Stimme. Tibor nahm mich in den Arm, griff nach dem Papier und las weiter:
Wir vermissen Dich. Wir vermissen Dein Klopfen und Hüpfen. Dein gespanntes Lauschen auf Papas und Mamas Stimme und die Streckübungen in Mamas Bauch. Wir vermissen es, Dein schlagendes Herz zu hören und zu sehen, wie Du am Daumen nuckelst. Jede Minute mit Dir ist wie ein Geschenk und eine unendliche Bereicherung unseres Lebens. Wir haben Dir bedingungslose Liebe geschenkt, und Du hast sie immerwährend erwidert. Du hast uns zu den glücklichsten Menschen gemacht durch Dein Dasein. Wir haben Dich vom ersten Moment an geliebt. Wir sind eine Familie durch Dich geworden. Du hast uns so viel gegeben. So viel geschenkt.
Wir sind so dankbar, dass Du uns die zwei kostbarsten Stunden unseres Lebens geschenkt hast mit Deiner Geburt. Dein kleines Herz hat geschlagen, eine Stunde zusammen mit Mamas Herz, eine Stunde zusammen mit Papas Herz.
Als nun Tibor nicht mehr konnte, las ich weiter. Wir hatten das nicht geprobt, es ergab sich so. Mittlerweile hockten wir eng umschlungen vor dem Kästchen mit unserem Sohn. Wir ließen unseren Tränen freien Lauf. Ich las:
Julius, Du hast für uns die Zeit angehalten und uns zwei Stunden Ewigkeit geschenkt. Dein Schöpfer hat Dich auf die Reise geschickt, damit wir drei für zwei kostbare Stunden eins sein konnten.
Nun ist da eine gähnende Leere, ein tiefes Loch, da, wo Du warst. Wir sind so untröstlich traurig. Wir vermissen Dich so sehr. Wir wollten zusammen Weihnachten feiern, wollten Deine kleinen Hände und Füße zusammen im kuscheligen Bett bestaunen, wollten Dich durch die Nacht tragen, wenn der Schlaf nicht kommen will.
All diese und unzählige Träume mehr müssen wir nun mit Dir zu Grabe tragen.
Kleiner Klopfer, Du fehlst uns so sehr. Wir haben keinen Bauch mehr zum Einölen, keinen kleinen Po, der sich Mamas und Papas warmen Händen entgegenstreckt und gepomiezelt werden will. Unsere Hände sind leer, unsere Herzen sind unendlich traurig. Der Schmerz ist so unsagbar groß und im gleichen Moment ist die Glückseligkeit, die Du uns gegeben hast, für immer in unsere Herzen gebrannt. Diese Monate mit Dir waren die erfüllendsten, schönsten Monate im Leben Deines Papas und Deiner Mama.
Wir können nicht begreifen, warum wir Dich hergeben mussten. Du bist unser geliebter Julius, unser Großer, unser Erstgeborener. Wir sind so stolz auf Dich. Du bist so wunderschön. So perfekt. So glücklich. Und wir sind es mit Dir. Wir wissen nicht, wie unser Leben ohne Dich weitergehen soll. Wir wissen nicht, wie wir eine weitere Nacht durchstehen sollen. Alles ist so sinnlos, so weit weg.
Wir wissen, dass es Dir gutgeht. Wir hatten alle drei miteinander ausgemacht, dass Du allein am besten weißt, wann es Zeit ist. Trotzdem kam der Moment mit solcher Wucht. Trotzdem stehen wir jetzt allein zu zweit da. Kein Julius mehr, mit dem wir unser Leben teilen können. Die Monate in Mamas Bauch waren so erfüllt. So voller Liebe, Andächtigkeit, ehrfürchtigem Staunen stehen wir vor unserem Schöpfer und bewundern, welches Geschenk er uns durch Dich gegeben hat.
Wir sind nur der Ton, nicht der Töpfer.
Wir wissen nicht, warum wir Dich nicht aufwachsen sehen dürfen.
Wir lieben Dich, Julius Felix. Wir werden Dich wiedersehen, das wissen wir. Und es wird eine Ewigkeit sein, die wir Dich dann im Arm halten werden.
Versprochen.
Dein Papa und Deine Mama.
Hier waren nur mehr Tränen, so dass ich kaum mehr die Buchstaben sehen konnte.
Nachdem wir uns wieder halbwegs gesammelt hatten, lasen wir zusammen noch einmal Psalm 139 vor, wie wir das schon bei Julius’ Einbettung gemacht hatten, und dann blieb uns nichts,
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