Viereinhalb Wochen
Beerdigung saß ich im Bus zum ehemaligen Tempelhofer Flughafen, um meine Runden auf dem alten Rollfeld zu drehen. Zuerst eine Runde, sechs Kilometer auf dem Asphaltband rund um die unendlich wirkende Grassteppe mitten im Berliner Häusermeer. Am nächsten Tag schon zwei, beim nächsten Mal drei Runden. Das Inlineskaten war meine Erlösung. Bald war ich fast jeden Tag da, schnallte mir meine Schuhe an und spurtete los, mit Tränen in den Augen, wenn mich während der Fahrt eine Welle der Trauer überkam, die aber genauso sicher, wie sie gekommen war, auch wieder wegging im rauschenden Fahrtwind unter der sengenden, schweißtreibenden Berliner Sommersonne.
Nach einigen Tagen waren wir so weit, wieder mit unserem engsten Familien- und Freundeskreis zu kommunizieren. Wir hatten uns belesen und wussten aus eigener Erfahrung, wie unbeholfen und ängstlich Außenstehende versuchten, mit unserer Situation umzugehen. Dem wollten wir entgegenwirken. Also schrieben wir:
Ihr Lieben,
heute vor zwei Wochen haben Tibor und ich gemeinsam mit Julius Felix unsere Dreisamkeit genossen.
Heute vor einer Woche haben wir schweren Herzens »Bis bald, kleiner Klopfer« sagen müssen – nicht »Lebewohl«, nur »Bis bald!«.
Wir haben unseren Wonneproppen nicht verloren – er ist uns nur vorausgegangen.
Habt Dank für alle lieben Worte, alle Karten (soooo schön bunt!!!).
Heute waren wir wieder – wie jeden Tag seit letztem Dienstag – bei Julius im Garten der Sternenkinder – und uns war heute nach Geburtstagfeiern zusammen mit unserem geliebten Sohnemann. Wir haben Seifenblasen gepustet, haben Luftballons aufgehängt und die Janosch-Geschichte vorgelesen, wo der kleine Tiger mal Geburtstag feiern wollte.
Wir haben Momente, die uns fast »normal« erscheinen – wenn die Seele mal eine Pause braucht. Und wir haben Zeiten, in denen wir verstummt und dumpf vor uns hin leben – die meiste Zeit.
Wir haben Euch im Folgenden ein paar Dinge zusammengefasst, die wir in der nächsten Zeit brauchen/uns wünschen:
Wir brauchen Euch. Wir mussten unseren geliebten ersten Sohn begraben – wir funktionieren zwar, aber vom »Leben« sind wir weit entfernt.
Ihr könnt uns nicht die Trauer nehmen, sie dauert das ganze Leben lang an. Diese Trauer verändert gerade alle unsere Werte: Vertrauen, Glaube, Hoffnung, Lebenswille. Wir trauern bewusst – dies ist kein zusätzlicher Schmerz, sondern notwendig für unsere Trauerbewältigung.
Bitte steht uns bei. Nur durch Eure liebevolle, verständnisvolle und behutsame Unterstützung werden wir neuen Halt im Leben finden. Es wird eine Weile brauchen, bis wir einen lebbaren Weg gefunden haben, um wieder zu Freunden, Bekannten und positivem Erleben zu finden.
Versucht Euch nicht vorzustellen, wie es ist, ein Kind zu verlieren. Ihr könnt das nicht »verstehen«. Das erwarten wir auch nicht. Akzeptiert bitte das veränderte Verhalten von uns. Sprecht uns bitte nie mit Floskeln auf Julius an (»Ihr seid ja noch jung«, »Ihr könnt ja noch Kinder kriegen« oder »Das Leben geht weiter«). Das macht uns wütend, traurig, tut uns weh.
Was viel, viel besser ist – redet mit uns über Julius! Sprecht seinen wunderschönen Namen aus, sprecht uns auf ihn an, fragt uns alles Mögliche im Zusammenhang mit Julius. Lasst uns wissen, dass Ihr auch im Alltag zwischendurch an ihn denkt. Es gibt für uns nichts Schöneres und Heilsameres, als von/über Julius zu reden. Zu schwärmen ☺
Habt bitte keine Angst davor, dass wir in Tränen ausbrechen, wenn wir/Ihr über Julius reden – Tränen sind Bestandteil der Trauer. Die Tränen müssen geweint werden. Teilt mit uns die Trauer. Lasst uns weinen. Das tut uns gut. Ihr helft uns dadurch (auch wenn Ihr Euch in dem Moment total hilflos fühlt – das seid Ihr nicht!).
Hier noch ein paar konkrete »Tipps«, die uns zeigen: »Euer Julius wird von uns nicht vergessen«:
Wenn Ihr könnt, besucht Julius mal im Garten der Sternenkinder (allein oder mit uns). Das macht uns froh. Wir sind so stolz, sein Papa, seine Mama zu sein.
Meldet Euch, z.B. per Telefon. Oder schreibt eine Postkarte, einen Brief. Es bedeutet uns so viel, von Euch die Worte zu hören/zu lesen: »Wir sind heute in Gedanken bei Euch und Julius. Wir haben heute an Julius gedacht.« Nicht nur in den nächsten Tagen – auch noch in vier Wochen, zwei Monaten, drei Jahren.
Das macht uns glücklich. Das macht Julius für uns noch größer, noch lebendiger. Das Schlimmste für uns ist, das
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