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Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt

Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt

Titel: Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: János Kertész
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Gesimskonsolen, die tierische und menschliche Wesen darstellen,
auch wenn viele dieser Steine Kopien der verwitterten Originale sind.
    Ich rufe Rita zu Hause an. Das Gespräch
ist schmerzlich distanziert, so als wenn wir aneinander nichts zu sagen hätten.
Ich bin traurig und gekränkt, weil die Gefühle und Sehnsüchte nach ihr, die ich
durch das Telefon sowieso nur schwer mitteilen kann, ins Leere laufen. Ich
versuche, sie darauf direkt anzusprechen, aber sie reagiert überrascht und
verständnislos. Sind es nur Gespenster, die ich zu sehen glaube? Nach so langer
Trennung ist eine gewisse Kommunikationsstörung nur natürlich.
    Anschließend besuche ich die Abendmesse
in der romanisch-gotischen Kirche San Pedro. Ich habe Schwierigkeiten, mich auf
die rituelle Handlung zu konzentrieren. Anstelle dessen überlege ich, warum das
Hauptschiff und der Chor nicht miteinander in Flucht stehen. Der Altar steht
schief zu der Gemeinde. Ein ganz verwirrendes Raumgefühl. Ich finde das sehr
störend. Das ist aber nicht das Einzige, was mich von der Messe ablenkt. Ich
hänge noch immer in dem Gespräch mit Rita. Ich kenne sie doch seit einem halben
Leben. Auch sie weiß von dem Problem, das ich angesprochen habe. Warum blockt
sie ab, wenn ich es anspreche?
     
     

Samstag, am 28. Juni
Von Frómista nach Carrión de los Condes
    Heute früh istes
graubewölkt. Ein eiskalter Nordostwind fegt über die flache Ebene. Nach einer
Viertelstunde muß ich meine Wanderstöcke in den Rucksack verstauen, weil ich
sie nicht mehr halten kann, so frieren mir die Hände! Dick angezogen, die Hände
in der Jackentasche, in Spanien, im Hochsommer!
    In Westen, wo ich hinmöchte, wird der
Himmel immer dunkler. Bald flackert das erste Wetterleuchten in den
bedrohlichen blauschwarzen Wolken. Ich sehe, wie in der Ferne breite
Wassergardinen aus dem Himmel stürzen. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann das
Unwetter mich erreicht.
    Der Weg ist eintönig. Vor Jahren mußten
die Pilger hier auf weiten Strecken die schnurgerade Landstraße benutzen, was
weder die Pilger noch die Autofahrer als angenehm empfunden haben. Um Abhilfe
zu schaffen, hat man unmittelbar neben der Landstraße eine Schotterpiste für
Fuß- und Radpilger gebaut. Für heute sind zwanzig Kilometer auf diesem Weg
vorgesehen. Auf dem Schotter ist besser zu laufen als auf dem Asphalt, und von
Radlern überfahren zu werden, ist nicht so gefährlich, wie von Autos, aber
schön ist dieser Weg deswegen auch nicht.
    Einen Lichtblick in der kalten
Eintönigkeit bietet der kleine Ort Villalcásar de Sirga mit seiner berühmten
Kirche Santa María la Blanca. Die von den Templern erbaute dreischiffige
romanisch-gotische Kirche mit dem doppelten Querhaus begrüßt die ankommenden
Pilger mit einer langen Vortreppe, die zu einer hohen Vorhalle führt. Darin
befindet sich das überaus reich geschmückte Südportal.
    Im Innern der Kirche steht die
romanische Steinstatue Virgen Blanca, eine Maria mit dem Kind, die der Kirche
den Namen gegeben hat. Es wird über zwölf Wunder berichtet, die sich hier
ereigneten, darunter mehrere, in denen die Mutter Gottes kranke Pilger heilte,
die sich auf dem Heimweg aus Santiago befanden, von dem Apostel enttäuscht,
weil er ihnen nicht helfen konnte. Ein merkwürdiges Beispiel der übersteigerten
Mariaverehrung in Spanien!
    Als ich die Kirche verlasse, gießt es
draußen. Ich gehe in ein Café und hoffe, daß der heftige Regen bald aufhört und
ich weiterkomme, ohne naß zu werden. Eine naive Vorstellung! Wenn es hier
regnet, dann aber richtig! So bleibt mir nichts anderes übrig, als den
Regenmantel anzuziehen und die letzten anderthalb Stunden im strömenden Regen
hinter mich zu bringen.
    In dem Städtchen Carrión de los Condes
stehen mehrere Herbergen den Pilgern zu Verfügung. Ich wähle die erste auf dem
Weg, das ehemalige Kloster Santa Clara. Nach der Überlieferung hat der Heilige
Franziskus von Assisi auf seiner Pilgerreise hier übernachtet. In demselben
Bau, vielleicht im selben Raum zu schlafen, wie dieser überaus menschliche
Heilige, möchte ich mir nicht entgehen lassen, auch wenn hier die Übernachtung,
im Gegensatz zu den anderen Refugios, wo nur eine geringe Spende erwartet wird,
etwas kostet. Dafür schlafe ich in einem Zweibettzimmer mit richtiger
Bettwäsche und Handtuch. Ein lange nicht mehr genossener Luxus!
    Mein Zimmergenosse ist ein junger
Holländer mit Fahrrad. Er beklagt sich darüber, daß sich alle möglichen
Radfahrer auf dem Weg

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