Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)
gehe.
„Ich befürchte, mir fällt nichts mehr ein.“
Es stimmt, mir fällt wirklich nichts mehr ein. Strauss lächelt mich an und richtet sich in seinem Stuhl auf.
„Danke Frau Pander, vielen Dank. Bitte halten sie mich auf dem Laufenden.“
„Natürlich. Ich werde versuchen, schnellstmöglich mit Frau Diehl zu sprechen. Und dann ruf' ich Sie an. Ähm, was würden Sie sagen, was sollen wir mit dem Kostüm machen?“
Schweigen. Strauss schaut auf den Boden und kratzt sich am Kinn.
„Am besten, Sie nehmen es wieder mit. Bringen Sie es dorthin, wo Sie es gefunden haben.“
„Okay“, sage ich. Aber mir ist unwohl bei dem Gedanken, das Ding wieder in den Keller zu schleppen. Strauss hebt den Kopf und lächelt mich an.
„Und diesen wunderschönen Wäschekorb können Sie behalten.“
Er stemmt sich aus dem Sessel und reicht mir die Hand. Sein Händedruck ist warm und fest, noch sind ein paar Kilo Leben in dem Mann, noch hat der Krebs ihn nicht völlig ausgehöhlt.
„Ich helfe Ihnen tragen, so viel Kraft habe ich noch.“
Als wir vor meinem Auto stehen, da fällt mir noch etwas ein.
„Haben Sie eigentlich noch Kontakt zu Herrn Schlechter?“
„Leider nein, er will mit mir nicht mehr sprechen. Wahrscheinlich habe ich ihn zu sehr bedrängt, mir von seinen Erlebnissen im Herbsthaus zu erzählen. Sie wissen ja, dass ich manchmal etwas penetrant sein kann.“
„Aber geht es ihm gut?“
„Er hat meines Wissens keine weiteren Selbstmordversuche unternommen, falls Sie das meinen. Nun wollen wir mal sehen, ob dieser alte Affe bei Ihnen in den Kofferraum passt.“
Blöderweise passt der Wäschekorb mit dem Kostüm nicht in den Kofferraum, die Klappe geht nicht zu. Also muss das Ding auf die Rückbank. Während ich zur medizinischen Bibliothek fahre, schaue ich ein paar Mal in den Rückspiegel … nichts bewegt sich, das Ding liegt in seinem Körbchen und stinkt.
Fotos
Eine Nacht ohne Besuch und ein ruhiger, sonniger Morgen. Kaffee und Nutellabrot, Orangensaft mit hundert Prozent Fruchtgehalt, halbhart gekochte Eier und kleine Löffel, an denen Eidotter klebt. Die Tischplatte ist voller Krümel, es tut ein bisschen weh, wenn man die Ellenbogen drauf abstützt.
„Und, gut geschlafen?“, fragt mich Paula.
„Wie ein Stein“, antworte ich und betrachte den Abdruck, den meine Zähne im Brötchen hinterlassen haben. Ob man anhand solch eines Abdrucks einen Menschen identifizieren könnte? Paula stellt ihre Tasse ab.
„Wie war es eigentlich gestern bei diesem Psychiater?“
„Ganz gut.“
Eigentlich sollte sie jetzt ihre Tasse wieder nehmen. Aber Paula schaut mich nur an, das war ein bisschen zu wenig.
„Und was weiter?“
„Na ja, wir haben uns ungefähr eine Stunde unterhalten … also darüber, wie es mir geht und über den Stress, den ich so habe. Er hat mir erzählt, dass dieser Typ, der sich umbringen wollte, dass es dem wieder gut geht. Der ist jetzt irgendwie im betreuten Wohnen oder so.“
„Na hoffentlich passen die gut auf den auf.“
Paula nimmt einen Schluck Kaffee.
„Bestimmt. Jedenfalls ist es für mich gut zu wissen, dass der Mann am Leben ist. Das ist schon heftig, wenn man mitbekommt, dass sich einer ein Messer in den Bauch rammt.“
„Ja, das glaub ich. Geht es dir einigermaßen?“
„Ja, geht. War nur alles ein bisschen viel die letzten Wochen.“
Paula lehnt sich über den Tisch und streichelt meine Wange.
„Ich hab dich lieb.“
„Ich dich auch.“
Wir lächeln uns an, ich streichle ihren Handrücken und denke ein bisschen an Sex.
„Können wir wieder zurück ins Schlafzimmer?“, fragt Paula.
Kein Lächeln mehr, keine Gedanken an Sex. Mir ist, als hätte sie mich mit Dreck beworfen. Musste das jetzt sein? Ich höre mich ein okay murmeln, ein leises, resigniertes okay.
„Wirklich?“
„Ja, okay … wird schon gehen.“
Ich habe meine Hand einige Zentimeter zurückgezogen. Paula holt sie sich und hält sie fest. Ich will nicht zurück ins Schlafzimmer, dort ist es nicht sicher … ich habe das einfach im Gefühl. Okay, auch hier im Wohnzimmer … Scheiße! Auch hier ist mir ja was passiert … dieses kleine Mädchen mit den Verbänden und dann die Hände und dieses irre Zerrbild von Paula mit dem ekelhaft raushängenden Auge … aber das war nur ein Traum … oder etwas zwischen Traum und Wirklichkeit … aber eben doch nicht so real wie das Tier, das da zwischen Schrank und Wand stand. Wahrscheinlich wartet das Tier nur darauf, dass ich zurück
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