Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)
Sterbenden. Aber der Händedruck ist kräftig.
„Hallo Frau Pander.“
„Hallo Herr Strauss.“
Ich hoffe, dass wir uns noch viele Male auf diese Weise begrüßen werden. Alle Wut, die ich für diesen Mann empfand, ist verschwunden. Strauss bückt sich hinunter zu dem Wäschekorb und streicht über das schwarze Fell. Die Berührung wirkt fast zärtlich … als würde er ein verstorbenes Haustier streicheln.
„Was würden Sie sagen, Frau Pander, haben wir es hier eher mit einem Gorilla oder eher mit einem Schimpansen zu tun?“
„Eher mit einem Gorilla“, antworte ich.
„Oder irgendwas dazwischen“, sagt Strauss Tochter.
„Ja … ein Gorilla oder irgendetwas dazwischen. Wirklich sehr gute Arbeit.“ Strauss befühlt das Gesicht des Tieres, betastet die Zähne, die Augen. „Hier hat jemand etwas verstanden von seinem Handwerk.“ Er schüttelt den Kopf. „Wirklich sehr gute Arbeit.“
Einige Minuten später. Strauss' Tochter hat sich verabschiedet, das Affenkostüm liegt ausgebreitet auf dem Boden des Arbeitszimmers und verbreitet sein Aroma. Doktor Strauss und ich sitzen uns in zwei Lehnstühlen gegenüber, der alte Gelehrte und seine junge Handlangerin. Gerade hat er mich gefragt, ob ich mir sicher bin, dass das, was da nur zwei Meter von uns entfernt liegt, das Wesen ist, das ich nachts gesehen habe. Ja, ich bin mir sicher … und zugleich bin ich mir sicher, dass es das nicht ist. Ich erkläre Strauss, dass dieses Wesen, das nachts vor unserem Bett stand, eben einerseits genauso aussah, wie dieses Kostüm … andererseits aber nicht so, als würde es ein Kostüm tragen.
„Ich verstehe nicht ganz, was Sie meinen.“
Okay, noch ein Versuch.
„Wenn Sie jetzt dieses Kostüm anziehen würden, dann würden Sie aussehen, wie das schwarze Tier. Aber gleichzeitig würde man sehen, dass da jemand ein Kostüm trägt. Aber das schwarze Tier sah eben nicht so aus, wie jemand, der ein Kostüm trägt. Es sah einfach aus wie … also wie ein Lebewesen, nicht wie jemand, der sich verkleidet hat.“
„Aber kann man das so genau auseinander halten?“, fragt mich Strauss.
„Das war jedenfalls mein Eindruck. Ich kann das leider nicht besser erklären.“
„Warten Sie mal … ähm, ich werde meine Tochter bitten, das Kostüm anzuziehen.“
Sofort regt sich Widerstand in mir, ein kühles, ganz diffuses Unbehagen. Ich sage nichts … aber Strauss bemerkt meinen Gesichtsausdruck.
„Oder haben Sie etwas dagegen?“
„Nein, nichts Konkretes … ich habe nur ein schlechtes Gefühl bei der Sache.“
Schweigen. Dann wieder Strauss.
„Ich bin mir sicher, dass die Phänomene, mit denen wir uns befassen, ortsgebunden sind. Ich denke nicht, dass etwas Unvorhergesehenes passieren wird, sobald meine Tochter das Kostüm anzieht.“
„Nein, das glaube ich ja auch nicht. Ich habe eben nur ein schlechtes Gefühl dabei. Aber okay, wenn sie mitmacht ...“
Strauss ruft seine Tochter und nach anfänglicher Irritation erklärt sie sich bereit, in das alte Kostüm zu schlüpfen. Vielleicht ist das einer der Vorteile der Krankheit: Einem Todkranken schlägt man keine Wünsche mehr ab. Sie beschwert sich nicht einmal über den Gestank, nur alte Klamotten zieht sie sich vorher an, darauf besteht sie. Dann steigt sie in Jogginghose und T-Shirt in den Affen. Während ich mit dem Metallreißverschluss auf der Rückseite des Kostüms kämpfe, bewegt Strauss' Tochter die Finger … und mit ihnen die Finger des Affen. Als ich es sehe, da schüttelt es mich. Schnell ziehe ich den Reißverschluss zu und trete einen Meter zurück, stelle mich neben Strauss. Sie dreht sich um und vor mir steht das schwarze Tier.
„Was sagen Sie, Frau Pander?“
Erst einmal nichts. Ich sage überhaupt nichts. Ich schaue mir nur das Ding an. Und plötzlich fällt ein großer Klumpen Anspannung von mir ab. Nein, das ist es nicht. Das hier ist jemand in einem Kostüm. Das Ding, das vor unserem Bett stand, war viel … nun ja, viel echter. Ich erkläre es Strauss, zumindest versuche ich es.
„Ich glaube, ich weiß, was Sie meinen.“ Und dann zu seiner Tochter: „Würdest du bitte ein paar Schritte gehen und dann ein paar Worte sagen.“
Sie geht ein paar Schritte und sieht aus wie jemand in einem Kostüm. Sie spricht ein paar Worte und hört sich an wie jemand in einem Kostüm. Nein, das ist es nicht. Was mich da nachts besucht hat, das sah nicht aus wie jemand in einem Kostüm, das war viel realer. Strauss schaut mich an. Er wartet auf meinen
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