Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)
Ich sitze einfach nur dumpf auf dem Wohnzimmersofa und warte darauf, dass Paula wiederkommt.
Dreißig Minuten sitze ich so, dreißig Minuten dauert es, bis mich wieder die Wut packt. Ich möchte die Wände hochgehen, ich möchte die Fenster einschlagen, ich möchte dieses verdammte Haus abfackeln. Was krabbeln eigentlich diese scheiß Fliegen da an der Decke rum? Müssten die nicht im Schlafzimmer sein, bei ihren ausgetrockneten Kollegen? Ich springe vom Sofa auf und sehe mich nach etwas um, das ich werfen kann. Das Kissen? Nein, viel zu weich! Ich bräuchte eine fette, schwere Zeitschrift, so ein Modeheft auf Hochglanzpapier, vollgestopft mit Werbung. Damit könnte ich die verdammten Viecher platt machen. Aber ich finde nur eine labberige Fernsehzeitschrift, schon als ich den Fetzen werfe, weiß ich, dass das nichts wird. Das dünne Papier patscht kraftlos an die Decke, die Fliegen fliegen weg und suchen sich ein anderes Plätzchen, wo sie im Kreis krabbeln, schnüffeln und ihre Insektenscheiße verteilen können. Bravo Lena, nicht mal das schaffst du!
Zwei Stunden später, ich fühle mich weder dumpf noch wütend noch sonst was, verlasse ich die Wohnung. Paula ist nicht aufgetaucht und hat, wie erwartet, auch nicht auf meine Anrufe und Nachrichten reagiert. Als ich auf dem Flur stehe, da kommt mir der Gedanke, zurück zu gehen und die Bauklötze wieder aufzustellen. Aber dass ich sie zufällig wieder so hinbekomme, wie Paula sie aufgestellt hat, das ist unmöglich. Außerdem, was sollte das bringen? Sie soll ruhig wissen, dass ich in ihrer Wohnung … in unserer Wohnung war. Vielleicht sollte ich einfach zurück gehen, abschließen und von innen die Tür blockieren. Dann wäre Paula draußen … und ich verdammt noch mal drin, dann hätten wir nur getauscht und ich könnte warten, dass dieses Ding wieder zu mir kommt und … Scheiße!
Außerdem, so wie Paula drauf war, tritt die glatt die Tür ein, Kraft genug hat sie. Ein letzter Versuch, ich wähle ihre Nummer. Nein … nichts, keine Reaktion.
Ich bin kurz davor, dass scheiß Telefon auf den Boden zu werfen, als ich aus dem Augenwinkel etwas wahrnehme, links von mir. Das war die Tür von Frau Diehl, die wurde von innen geöffnet und der Spalt hat ein klein wenig gelbes Licht in den vom Tageslicht nur spärlich erhellten Flur gelassen. Was ich wahr-genommen habe, war nur eine winzige Veränderung der Lichttemperatur. Ein leises, trockenes Klacken, die alte Frau hat ihre Tür wieder zugezogen. Ich gehe hin und klopfe.
„Frau Diehl?“
Keine Schritte. Sie muss noch an der Tür stehen.
„Hallo, Frau Diehl?“
Nichts.
„Ich weiß, dass Sie da sind. Bitte machen Sie kurz auf, ich muss mit Ihnen über Ihre Schwester sprechen. Ich mache mir Sorgen um meine Freundin.“
Auf einmal die Stimme der alten Frau. Sie ist ganz nah, zwischen uns nur das Holz der Tür und fünfzehn Zentimeter staubige Luft.
„Warum machen Sie sich Sorgen?“
Ich spüre meinen Herzschlag. Ich habe einen Zipfel zu fassen gekriegt und wenn ich ganz vorsichtig daran ziehe, dann reißt er vielleicht nicht ab, dann fördert er etwas Größeres ans Licht.
„Ich mache mir Sorgen, weil meine Freundin den Kontakt zu mir abgebrochen hat. Sie lässt mich nicht mehr in die Wohnung. Und Ihre Schwester, die ist vor einigen Nächten zu mir ins Bett gekrochen. Die hat mich angefasst und ich habe sie angefasst, das war, als ob man einen Menschen anfasst, das war völlig real.“
Stille. Jetzt öffnet sich die Tür. Mir kommt muffige Luft entgegen, dann ein Gesicht voller Falten. Ich erinnere mich an den bestialischen Gestank, der bei meinem letzten Besuch diese Wohnung füllte. Dieser Gestank ist verschwunden, der Zustand ihres Fußes hat sich gebessert.
„Sie müssen ausziehen.“
„Das möchte ich ja“, antworte ich. „Aber ich muss meine Freundin irgendwie hier raus kriegen.“
Der Spalt geht ein wenig weiter auf.
„Hat auch Ihre Lebensgefährtin Margarete gesehen?“
„Heißt Ihre Schwester Margarete?“
Ein ruckartiges Nicken.
Hitze steigt in mir auf, das Ding hat seinen Namen bekommen. „Für meine Ella, in Liebe M.“ Das stand auf der ersten Seite des Fotoalbums.
„Und Sie heißen Ella?“
„Nein, so hat mich nur meine Schwester genannt. Hat auch Ihre Freundin sie gesehen?“
„Nein … also ich glaube nicht, dass Paula sie gesehen hat. Sie denkt eher, dass ich spinne, also weil ich ihr das erzählt habe. Aber meine Freundin wird immer aggressiver und immer
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