Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)
eine Tür aufgebrochen ist oder Flaschen herumliegen, dann spielen Sie nicht den Helden sondern rufen Sie die Polizei.“
„Alles klar, kein Heldentum”, kommt es vom Rücksitz. Herr Brandt schaut mich an. Er wartet auf eine ernsthafte Antwort.
„Keine Sorge, wir bringen uns schon nicht in Gefahr”, sage ich und versuche, nicht zu lachen. Das mit dem Nicht-den-Helden-spielen hat er schon mindestens fünfmal gesagt. Herr Brandt zeigt aus dem Fenster Richtung Eingang.
„Unten im Haus gab es früher ein kleines Restaurant. Da stehen noch alle möglichen Sachen 'rum, also auch Dosen mit Obst und so … wenn da noch was gut von ist, dann können Sie sich das gerne nehmen. Aber vorher aufs Haltbarkeitsdatum schauen.“
„Jawohl, immer aufs Haltbarkeitsdatum schauen”, kommt es vom Rücksitz. Langsam aber sicher wird Paula patzig. Und Scheiße, sie hat ja Recht. Wir sind keine kleinen Kinder, denen man sagen muss, sie sollen keine verdorbenen Konserven essen. Hoffentlich ist Brandt bald fertig, meine Aufmerksamkeit lässt nach.
„Gut, das war's dann eigentlich. Ich muss auch langsam los.”
Artig bedanken wir uns für Hilfe und Anweisungen. Und dann: Nichts wie raus hier. Autotüren zu und ab zum Haus. Herr Brandt hat das Fenster runter gekurbelt und ruft meinen Nachnamen. Ich drehe mich zu ihm um, Paula auch.
„Eine Sache noch: Im Keller steht eine Waschmaschine, die noch Wasser und Strom hat. Es gibt auch einen Trockenraum, den Sie benutzen können. Da hängen so diese äh … diese Stricke an der Decke.
„Was für Stricke denn?”, fragt Paula und grinst mich an.
„Also diese Wäscheleinen.”
„Ach so. Alles klar.”
Herr Brandt fährt quietschend und polternd vom Parkplatz und Paula zwickt mich in den Arsch. Hoffentlich hat er das nicht gesehen … andererseits, was soll's.
Unser Zeug ist komplett oben, wir können heute Abend noch damit anfangen, unsere neue Wohnung einzurichten. Ein bisschen Kraft hab ich noch.
***
Oder auch nicht. Es ist kurz nach zehn Uhr abends, die Kartons sind noch unausgepackt, unsere Umzugshelfer sind längst zu Hause vor dem Fernseher, im Bett, oder wo auch immer. Paula staunt darüber, wie ruhig es hier ist.
„Man hört wirklich überhaupt nichts. Ganz anders als in unserer alten Wohnung.”
„Hier wohnt ja auch keiner außer uns”, antworte ich. „Nur zwei Wohnungen weiter die Frau Diehl und unten 'ne Familie. Die hab ich noch gar nicht gesehen.”
Paula stemmt sich mit den Ellenbogen von der großen Matratze hoch, die wir gerade ins Schlafzimmer geschleift haben. Das Bett wollen wir morgen aufbauen, eine Nacht können wir ausnahmsweise auf dem Boden schlafen.
„Sollen wir noch runter gehen, uns vorstellen?”
„Nee, is doch schon nach zehn.”
Paula gähnt lautstark, es klingt wie wha-wha-wha-wha-wha, und lässt ihren Oberkörper auf die Matratze fallen. Sie ist zwölf Kilo schwerer als ich, ihre Erschütterungen sind stärker als meine, manchmal wache ich auf, wenn sie sich im Schlaf umdreht.
„Musst du eigentlich heute schon diese Runde durchs Haus machen?”, fragt mich Paula.
„Wer sagt denn, dass ich sie machen muss?”
„Vielleicht müssen wir heute ja noch nicht. Hat der irgendwas gesagt, dieser Hausmeister?”
„Der hat 'ne ganze Menge gesagt“, antworte ich. „Allerdings hab' ich die Hälfte schon wieder vergessen.”
„Und ich hab' gar nicht zugehört”, lacht Paula.
Einige Minuten liegen wir nur da. Es ist völlig still. Nicht einmal die Straße hört man. Mein rechter Arm hängt von der Matratze und meine Hand spielt mit etwas, was sich wie ein kleines, vertrocknetes Stück Brot anfühlt … nur weicher, poröser. Ich nehme das Ding zwischen Daumen und Zeigefinger und halte es hoch. Eine tote Schmeißfliege, ihr großer Hinterleib ist von einem gelblichen Pelz überzogen, der Pilz hat sie von innen aufgefressen und umgebracht. Ich lasse das tote Insekt auf den Boden fallen und betrachte meine Finger. Sie sehen sauber aus, trotzdem wische ich mir die Hand am Bettlaken ab. Wir müssen unbedingt saugen, am besten noch heute Abend. Plötzlich Paula:
„Ich finde, wir sollten noch die Runde machen.”
„Na gut … gehen wir zusammen?”
„Hast du Schiss allein?”
„Ich hab dich nur gerne an meiner Seite.”
Paula klatscht sich auf die Oberschenkel.
„Guad, aufi goats.” Ein missglückter Versuch, einen bayerischen Dialekt nachzuahmen. Sie hat kein Talent für so etwas … ich übrigens auch nicht.
Schon sind
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