Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)
wieder die Vorlesungen an. Komischerweise zeigt Dr. Strauss, der Leiter des Labors – mir kommt die Bezeichnung immer noch komisch vor, bei „Labor” denke ich gleich an Reagenzgläser, in denen bunte Flüssigkeiten blubbern – wieder ein reges Interesse an mir. In den letzten drei Tagen saß ich dreimal in seinem Büro, jeweils etwa eine halbe Stunde. Jedes Treffen fing damit an, dass er einige Fragen zu der Sache mit Herrn Schlechter stellte. Dann leitete er über zu mir, zu meinem eigenen Befinden. Er fragte mich, ob ich Alpträume oder Angstzustände habe, einmal wollte er sogar wissen, ob ich unter Halluzinationen leide. Nein, nein und noch mal nein, nichts von alldem.
Dr. Strauss versteht es, seine Fragen geschickt und auf sehr sympathische Art zu stellen. Trotzdem kommt mir das alles merkwürdig vor. Was zum Teufel will der von mir? Wieso macht der sich solche Sorgen um mich? Hat er ein schlechtes Gewissen, weil er die Absicht seines Patienten – Herr Schlechter war bei Dr. Strauss in psychiatrischer Behandlung – nicht vorhersehen konnte? Denkt der, dass mir diese Sache mit Herrn Schlechters Suizidversuch einen fetten Knacks fürs Leben verpasst hat?
Während ich mir diese Fragen stelle, bin ich schon wieder auf dem Weg zu ihm, schon wieder steuere ich auf das Büro am Ende des Flurs zu, schon wieder hat er mich durch eine Schwester rufen lassen. Wie soll ich so meine Arbeit schaffen? Obwohl die Tür offen steht, klopfte ich an. Strauss blickt von seinem Schreibtisch auf.
„Ach hallo Frau Pander. Kommen Sie doch rein! Wie geht es Ihnen?”
Er stemmt sich hoch, kommt um den Schreibtisch herum und streckt mir seine Hand entgegen. Ich sehe, dass er irgendwas am Ärmel hat. Ist das Marmelade? Trägt er seinen Arztkittel schon zum Frühstück? Schläft er darin?
„Hallo Herr Strauss. Mir geht es so weit ganz gut, keine Halluzinationen, keine Angstzustände.”
Der Mann in dem größtenteils weißen Kittel setzt sich hin, schiebt einen Stapel Papier zur Seite und schaut mich auf eine besondere Art an. Ironie und Schuldbewusstsein mischen sich in seinem Blick … es ist noch etwas anderes darin, das ich nicht benennen kann. Ich bleibe stehen, vielleicht können wir es heute ja kurz machen.
„Ich gehe Ihnen auf die Nerven, stimmt's?”
„Nein, es ist nur ...”
Strauss zieht nur ein wenig die linke Augenbraue hoch und sofort fühle ich mich durchschaut. Ja, er geht mir auf die Nerven. Und ja, er weiß es. Ich kann diesem Mann nichts vormachen. Was ist der alles? Psychiater, Psychotherapeut und Neurologe? Wahrscheinlich auch noch Soziologe, Paläontologe, Astrologe und Was-weiss-ichologe … der Typ hat so viele Doktortitel wie andere Leute Hemden im Schrank.
„Jetzt stehen Sie doch nicht so herum! Nehmen Sie Platz!”
Lächelnd deutet er auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch. Ich setze mich.
„Sie sind ja nicht mehr ganz so lange bei uns, Frau Pander. Wie hat es Ihnen denn gefallen?”
„Ganz gut, es war auf jeden Fall interessant, auch mal ein Schlaflabor kennen zu lernen. Die Nachtschichten waren ein bisschen anstrengend, aber-”
„Das ist Gewöhnungssache”, unterbricht mich Strauss. Auf einmal macht er einen ungeduldigen Eindruck, die Finger seiner rechten Hand bewegen sich auf der Tischplatte als wollten sie davon krabbeln. Aber sie kommen nicht voran, an ihnen hängt ein ausgewachsener menschlicher Körper.
„Brauchen Sie eigentlich noch eine Bescheinigung von mir? Also für Ihr Medizinstudium. Oder war das hier einfach nur ein Ferienjob?”
„Also eigentlich nur ein Ferienjob. Aber vielleicht könnten Sie mir einfach eine Beurteilung schreiben und eine Bestätigung der Arbeit, die ich hier gemacht habe.”
Herr Strauss hat die Fluchtversuche seiner Finger bemerkt, zieht die Hand zurück und lässt sie hinter dem Schreibtisch verschwinden.
„Kein Problem, ich schreibe Ihnen eine schöne Empfehlung, Sie haben sehr gut hier mitgearbeitet.” Er zögert, schaut mir in die Augen. „Ich möchte noch einmal auf diese Sache mit Herrn Schlechters Selbstmordversuch zu sprechen kommen. Ich weiß, dass ich Ihnen damit lästig werde, aber mich beschäftigt die Angelegenheit und es tut mir leid, dass Sie in die Sache verwickelt wurden.”
„Ich habe ja eigentlich nur Hilfe gerufen. Der Herr Pfahl hat sich ja gleich um den Herrn Schlechter gekümmert, der hat dem ja praktisch das Leben gerettet.”
„Mit dem Herrn Pfahl habe ich gesprochen, der steckt das gut weg. Er arbeitet schon
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