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Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)

Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)

Titel: Vierter Stock Herbsthaus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Susami
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näher heran. Okay, bei der schwarzen Masse in der Spüle handelt es sich um einen Klumpen eingeweichte Wäsche, ich erkenne eine Jeans mit Löchern, Wollsocken und mehrere dunkle T-Shirts. Jetzt sehe ich auch die beiden zusammengerollten Schlafsäcke im untersten Fach des großen Stahlregals, in dem auch die geöffneten Konservendosen stehen. In diesem Haus wohnen mehr Leute, als ich dachte. Den Schlafsäcken nach zu urteilen sind wir insgesamt zu fünft.
    Aber wie verdammt kommen die hier rein und wieder raus? Durch die mit Zeitungsseiten verklebte Glastür sicher nicht. Die Klinke war verdreckt, die wurde ewig nicht mehr benutzt. Außerdem schließen wir ja immer den Hauseingang ab.
    Ich brauche einige Sekunden, um das blaue Gummiseil am Küchenfenster zu bemerken. Es stammt von einem Expander, mein Vater hatte früher einen, dessen Seile ganz genauso aussahen. Man konnte sie einzeln aushängen, um die Schwierigkeit zu variieren. Mein Vater zerrte an vier, meine Mutter an zwei Seilen. Als kleines Mädchen versuchte ich es mit einem Seil.
    An den Bierdosen und Schlafsäcken vorbei gehe ich zum Fenster und sehe mir die Sache an. Das etwa dreißig Zentimeter lange Seil läuft durch einen Metallhaken, den jemand neben dem Fenster in die Wand gedreht hat, das eine Ende des Seils ist an den Fenstergriff geknotet, das andere Ende an das schwere Küchenregal neben dem Fenster. Obwohl der Griff nach unten zeigt, kann ich das Fenster mit etwas Kraft aufziehen, anscheinend ist der Schließmechanismus defekt. Als ich den Griff loslasse, schließt sich das Fenster durch den Zug des Gummiseils. Eine verdammt clevere Konstruktion. Man drückt mit einer Hand von außen das Fenster auf, fasst mit der anderen Hand durch den Spalt, zieht das Gummiseil vom Fenstergriff ab und schon kann man das Fenster ganz öffnen und einsteigen.
    Was verdammt soll ich jetzt machen? Die Polizei rufen? Herrn Brandt oder Herrn Egner Bescheid sagen? Das Seil entfernen und versuchen, irgendwie das Fenster zu schließen? Oder einfach so tun, als wäre ich nie hier gewesen? Eigentlich kann es mir ja egal sein, dass hier Leute übernachten … scheinen ja sogar recht ordentliche Leute zu sein. Immerhin waschen sie ihre Wäsche und rollen ihre Schlafsäcke zusammen. Sie haben auch nichts kaputt gemacht, die Küche sieht okay aus, ebenso der ehemalige Gastraum. Und in den Rest des Hauses kommen sie ja nicht. Die Tür zur Eingangshalle war verschlossen, die hat jahrelang niemand mehr geöffnet. Wieso also sollte ich diesen armen Schweinen ihren Unterschlupf wegnehmen? Ich beschließe, erst einmal nichts zu tun und die Sache mit Paula zu besprechen. Nachdem ich mich vergewissert habe, keine Spuren hinterlassen zu haben, verlasse ich das ehemalige Restaurant und schließe die Tür ab. Mir ist kalt, ich hätte eine Jacke anziehen sollen.
    Kurz darauf kommt Paula zurück, ich sitze schon wieder am Computer und bin bei den Geschirrspülern … Korb oder Schublade, das ist hier die Frage. Erst das Schlagen der Tür, dann ihre Schritte und dann ihre Stimme:
    „Hallo Schatz, was treibst du?”
    „Och, nichts besonders. Schau mir nur Kram im Internet an?”
    „Nackte Frauen oder was?”
    Sie zieht ihre Schuhe aus, stellt sie neben die Tür.
    „Nein, keine nackten Frauen. Viel interessanter: Geschirrspülmaschinen.”
    Ich höre, wie sie sich auszieht, wie sie ihre verschwitzten Sachen auf den Boden fallen lässt. Dann die Badezimmertür und das Rascheln des Duschvorhangs.
    „Na wenn du meinst”, kommt es aus dem Badezimmer. „Jedem das Seine.”
    „Ich glaube, das ist ein Nazispruch”, antworte ich.
    „Was?”
    „Jedem das Seine, ich glaub das ist ein Nazispruch … das stand glaub ich am Eingang von irgendwelchen Konzentrationslagern.”
    „Ach so, wusste ich nicht. Dachte, das ist viel älter als die Nazis.”
    „Kann auch sein … keine Ahnung.”
    Ich höre, wie Paula in die Wanne steigt und dann das Prasseln des Wassers. Ich gehe ins Badezimmer, klappe den Klodeckel runter und setze mich. Ich kenne ihre Duschgewohnheiten. Gleich wird sie das Wasser abstellen und sich einseifen. Dann duscht sie sich ab, lässt eine Handbreit Wasser in die Wanne laufen, setzt sich hin und rasiert sich die Beine. Das macht sie so, seit wir uns kennen. Etwa zwei Minuten sitze ich da, dann hört das Prasseln auf.
    „Du Paula, ich muss was mit dir bereden.”
    „Hab' gar nicht gemerkt, dass du reingekommen bist. Was gibt es denn?”
    „Ich war vorhin unten in diesem

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