Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)
ehemaligen Restaurant … also im Erdgeschoss. Und dort in der Küche haben sich irgendwelche Leute eingenistet.”
„Was für Leute denn?”
„Wahrscheinlich Obdachlose. Da lagen zwei Schlafsäcke.”
„Hast du mit denen gesprochen?”
„Mit den Schlafsäcken?”
Paula seufzt. Meine Witze waren auch schon besser.
„Mit den Obdachlosen, Scherzkeks.”
„Nö, war gerade keiner da. Jedenfalls haben die so ein Seil ans Fenster gemacht, damit sie rein und raus können. Im Haus selbst waren sie nicht, nur in der Küche.”
„Hast du Herrn Brandt Bescheid gesagt? Oder unserem Vermieter … wie heißt der noch mal?”
„Egner.”
„Genau, Egner. Hast du den angerufen?”
„Deshalb wollte ich ja mit dir sprechen. Ich dachte, wir könnten die doch einfach in Ruhe lassen, die stören ja keinen. Sieht auch ganz ordentlich aus, da unten. Die waschen sogar ihre Klamotten in der Spüle.”
„Und wenn die hier ins Haus kommen?”
„Die kommen nicht ins Haus. Die haben ja keinen Schlüssel … und außerdem wollen die ja nicht entdeckt werden. Die brauchen wahrscheinlich einfach 'nen Platz, wo die schlafen können.”
Paula antwortet nicht. Ich rieche ihr Duschgel.
„Was sagst du dazu? Ich finde ja, wir sollten die einfach in Ruhe lassen. Muss ja keiner wissen, dass ich überhaupt da drin war … also in dem Restaurant.”
„Du hast ja so 'n gutes Herz. Du könntest echt zur Heilsarmee gehen.”
Was soll denn das jetzt? Noch so ein dummer Spruch und sie kann den Rest des Tages alleine verbringen.
„Was bitte ist falsch daran, wenn man versucht, ab und zu mal kein Arschloch zu sein? Ich finde, die können da unten wohnen. Sowieso ist es bescheuert, so ein großes Haus leer stehen zu lassen, während Leute auf der Straße schlafen.”
„Okay okay, von mir aus. Ich hab' kein Problem damit, solange die uns in Ruhe lassen.”
„Die lassen uns in Ruhe, die kommen ja nicht mal ins Haus.”
Ich stehe auf und gehe raus. Okay, das wäre geklärt, soll sie sich in Ruhe ihre hübschen langen Beine rasieren.
Auf unserem kleinen Balkon stehen zwei Campingstühle und ein alter brauner Plastiktisch Ich setze mich und spüre die Sonnenstrahlen auf meiner Haut. Von hier oben habe ich einen guten Blick über den Parkplatz, ich sehe mein kleines Auto und fünfzig Meter weiter ragt der Zwilling unseres Hauses in den Himmel. Wie hieß das gleich? Dschungel- … nein, Leguanhaus. Unser Haus ist das Herbsthaus, das da drüben ist das Leguanhaus. Wie hieß eigentlich das dritte Haus, das abgerissen wurde?
Ich stehe auf und lehne mich über die Brüstung. Von hier oben müsste man eigentlich sehen, wenn unten jemand durch das Küchenfenster einsteigt. Soll ich mich auf die Lauer legen? Interessieren würde es mich ja, wer sich da unten eingerichtet hat, zwischen Töpfen, Pfannen und dicken Konservendosen.
Ach, was soll's. So neugierig bin ich nicht. Lieber lasse ich mich in einen der Campingstühle fallen und genieße die Sonnenstrahlen. Ich höre Blätterrauschen, Vogelgezwitscher und den gedämpften, fast nicht wahrnehmbaren Lärm der Stadt. Ein bisschen habe ich immer noch Angst, dass der Balkon runterkracht. Aus dem langen Riss unter mir wächst sogar Moos. Aber Herr Brandt, ich habe ihn vor einigen Tagen extra deswegen angerufen, meinte, das keine Gefahr bestehe. In dem Beton seien, so erklärte er mir mit seiner schönsten rheinländischen Erklärstimme, „haufenweise” Stahlstangen, und die würden das Ding zusammenhalten: „Wenn Sie da keine Zementsäcke aufschichten oder 'ne Kuh draufstellen, dann passiert da auch nichts.” Hoffentlich hat er Recht, der Herr Brandt.
***
Es ist kurz nach elf. Wir haben uns in der Stadt mit zwei Freunden getroffen, haben in einem kleinen Programmkino einen guten Film namens „Young@Heart” gesehen, haben günstige aber gute Tapas gegessen, dazu Rotwein getrunken, und mussten uns dafür rechtfertigen, dass wir keine „Housewarming”-Party machen wollen, jetzt wo wir so eine große Wohnung in einem so interessanten Haus haben. Paula hat uns damit herausgeredet, dass der Vermieter keine Party wolle, dass unsere Wohnsituation ja sowieso eine Art Wachdienst sei. War natürlich gelogen, Herr Egner hat nichts davon gesagt, dass Partys verboten sind, und auch im Vertrag steht nichts davon. Wessen Ruhe sollten wir auch stören?
„Vielleicht könnten wir doch 'ne kleine Einweihungsparty machen ... zumindest für unsere besten Freunde und die Leute, die uns beim Umzug
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