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Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)

Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)

Titel: Vierter Stock Herbsthaus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Susami
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leise nur, ein entferntes Poltern und Schlagen. Stahlseile, die über Rollen laufen, Metall auf Metall. Der verdammte Aufzug bewegt sich, das Ding läuft von alleine. Nachts, wenn keiner aufpasst, dann macht er, was er will, dann fährt dieses weit geöffnete Maul von Etage zu Etage, rauf und runter, rauf und runter. Was sucht das Maul? Worauf wartet es? Worauf hofft es? Will es mir Hallo sagen? … weil ich doch neu hier bin und weil es nur nachts mit den Menschen sprechen kann. Ein paar Schritte nur, drei winzig kleine Meter … und schon bin ich an der Wohnungstür … und schon sehe ich den hübschen kleinen Schlüssel in meiner Hand. Ich bin doch verantwortlich, ich muss doch nachsehen, was da los ist. Das geht doch nicht, dass dieser Aufzug die ganze Nacht tut, was er will. Das ist doch so nicht in Ordnung.
    Jetzt bin ich auf dem runden Flur, das ging ganz schnell. Ich finde den Lichtschalter, drücke ihn aber nicht. Ich will nicht, dass die Lampen schreien, das wäre zu viel für mich. Und dann fällt mir ein, dass die Lampen ja nicht schreien können, sie machen nur Licht … aber auch das wäre zu viel. Langsam, ganz vorsichtig – DIESE VERDAMMTE PUDDINGHAUT! WIE KOMMT DIESE VERDAMMTE PUDDINGHAUT UNTER DEN TEPPICH? – gehe ich zum Aufzug, an der Tür von Frau Diehl vorbei. Kommt die gleich raus, diese alte Tarantel mit ihrem blöden Kuchen und ihren blöden 92 Jahren?
    Schon bin ich heraus aus dem Runden, schon bin ich auf dem kleinen, pfeilgeraden Flur, der zum Aufzug und zum Treppenhaus führt. Links von mir hängt der Feuerlöscher und der Feuerlöscher will mir ganz offensichtlich etwas sagen. Er ruft „Hallo! Hierher!” und ich sehe zu ihm und dann sagt er etwas und das bekomme ich dann schon nicht mehr mit, weil ich wieder nach vorne schaue, ich muss doch darauf achten, was der Aufzug macht … nicht dass der wieder durchs ganze Haus fährt. Der Feuerlöscher ist beleidigt, er sagt nichts mehr, er spricht nicht mehr mit mir. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob es wirklich der Feuerlöscher war. Vielleicht kam die Stimme auch aus der Wand heraus.
    Ich schließe die Augen, ganz kurz nur, nur ein, zwei Sekunden, und als ich sie wieder öffne, da liegt vor mir auf dem Boden ein altmodisches gelbes Kleid. Es liegt ausgebreitet auf dem Flur, es hat Rüschen und einen weißen Kragen mit blauen Knöpfen. Obwohl es so dunkel ist, kann ich die Farben genau erkennen. Und plötzlich sind da noch mehr Kleider: Lange und kurze, schwarze, weiße, grüne und gelbe. Sind die für mich? Wem gehören die? Wer hat die hier hingelegt? Soll ich sie mitnehmen und Paula zeigen? Ich merke, dass mir schlecht wird, dass meine Beine schwach werden. Die sind alle kaputt, die Kleider! Von Motten zerfressen, fadenscheinig, ausgeblichen, fleckig, verdreckt. Was von ihnen übrig ist, das ist von Ungeziefer bevölkert, schimmlig und tot und ekelhaft.
    Und dann sehe ich das große, schwarze Tier. Aufrecht wie ein Mensch steht es im Halbdunkel des Flurs, ganz am Ende … zwischen Wand und Fenster. Es ist zottig, am ganzen Körper schwarz behaart, glänzende Augen und weiße Fangzähne. Es ist ganz sicher ein Tier, obwohl es auf zwei Beinen steht. Ganz ruhig steht es da und doch weiß ich, dass es mich anspringen und packen wird, es ist ja viel stärker als ich.
    Ich muss zurück in die Wohnung, zurück zu meiner großen, starken Paula. Oder, die Idee kommt ganz plötzlich, auf ein anderes Stockwerk, am besten ganz nach oben. Ich kann mich in der Wohnung mit den Insekten vor dem Tier verstecken. Dort oben ist alles in Ordnung, dort ist alles, wie es zu sein hat … nicht ein einziges Mal haben sie die dürren Beinchen bewegt! Ich muss in die Wohnung mit den toten Käfern! Aber ich kann doch nicht! Wie soll ich denn bis ins Treppenhaus kommen? Dort steht doch das große schwarze Tier! Und den verrückten Aufzug kann ich auch nicht nehmen. Was, wenn das Tier zu mir in die Kabine kommt? Vielleicht wenn ich schnell mache. Vielleicht kann ich an ihm vorbeihuschen. Und wenn es mir nachkommt? Was mache ich dann? Wenn es mich einholt, bevor ich in der Wohnung bin …
    Plötzlich ein harter Griff. Etwas hat mich gepackt! Etwas schüttelt mich!
    „Lena! Lena! Wach auf! Komm zu dir!”
    Ich verstehe nicht. Wo kommt Paula her? Wieso spricht sie so laut? Und wo bin ich hier? Immer noch schüttelt sie mich. Ich versuche, mich umzusehen. Wieso ist hier ein Waschbecken?
    „Jetzt komm endlich zu dir! Hast du irgendwelche scheiß Drogen genommen oder

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