Vilja und die Räuber: Roman (German Edition)
gewesen, wenn sie geschrieben hätten, dass das Mädchen gestohlen wurde und so ’n Zeug. So ist es ja schließlich. Am helllichten Tage geraubt«, sagte Gold-Piet träumerisch. » Beim Sommerfest würden wir dann anrollen und so betont bescheiden auftreten: Ja, das waren wir, sogar in der Zeitung. So ist das mit der Ehre, bei uns läuft es gut mit der Räuberei, kein Problem, sei es ein Auto, ein Kiosk oder ein Mensch.«
» Da würden sogar den Pärnänens die Mäuler offen stehen bleiben«, sagte der Wilde Karlo und griff wieder nach der National Geographic , durch die er sich mit einem Wörterbuch durchbuchstabierte. » Die sind ja inzwischen richtig eingebildet wegen dem Erbe ihres großartigen Vaters. Die anderen Räuberfamilien müssen schon froh sein, wenn sie überhaupt mal was sagen dürfen.«
» Es wird wirklich höchste Zeit, dass mal jemand der jungen Frau Pärnänen den Mund stopft«, sagte Hilda und wischte eine Bratpfanne aus. » Meinetwegen endgültig!«
» Na also, das geht ja schon ein bisschen besser«, sagte Hele hinter mir. Sie hatte meine Messerwerferei bereits eine Weile beobachtet. Ich war immer wieder überrascht, wie lautlos ihre Schritte waren.
» Die wollen mich nicht mal zurückhaben«, sagte ich wütend. » Denen ist es peinlich, dass ich geraubt wurde. Deshalb schreiben sie es nicht in die Zeitung!«
Genau da flog das Messer so aus meiner Hand, wie es richtig war. Das merkte ich schon, als ich es losließ. Es sauste leicht und zielgenau auf den Baum zu und blieb in der unteren Ecke des Papierbogens stecken. Bis zum schwarzen Mittelpunkt war es immer noch weit, aber immerhin hatte ich das Papier getroffen.
» Für dich besteht ja Hoffnung«, sagte Hele.
Das war das Netteste, was sie je zu mir gesagt hatte. Sie ging hinüber, wand das Messer aus dem Stamm, stellte sich neben mir mit dem Rücken zur Zielscheibe auf und warf über ihre Schulter ins Ziel, als wollte sie mir zeigen, wie deprimierend viel ich noch lernen musste.
Wie jeden Abend spielten wir Kniffel. Das ist ein Würfelspiel mit fünf Würfeln. Man muss verschiedene Aufgaben erfüllen, zum Beispiel möglichst viele Dreien sammeln, oder zwei Päsche mit einer möglichst hohen Gesamtsumme würfeln. Kniffel wurde jeden Abend als Letztes gespielt, und damit ermittelten wir, wer wo übernachten würde. Der Sieger bekam das große Lattenrostbett im Räuberbus und durfte wählen, wen er in der Nacht neben sich haben wollte. Die Verlierer mussten ins Igluzelt. Seit Gold-Piet mich nachts nicht mehr bewachte, schlief er wieder in seiner Hängematte, die er zwischen zwei Bäumen oder, wenn es regnete, an zwei Haken unter dem Vordach aufspannte. Kalle, Hele und ich hatten jede Nacht im Zelt übernachtet, außer in der allerersten, in der ich unter Piets Intensivüberwachung stand.
» Eine Hütte!«, rief der Wilde Karlo begeistert und rührte mit den Händen heftig in der Luft, wie er das immer tat, wenn er sich richtig freute. » Eine Hütte, eine Hütte, wer hat eine Hütte. Hüütteee!«
So schrie er jeden Abend und tanzte seinen Luftrührtanz. Erst am Abend zuvor hatte ich die Regeln gelernt, hatte in die zerknitterte Spielanleitung gestarrt, um zu verstehen, was ich als Nächstes versuchen musste. In der Anleitung stand Full House, und das meinte der Wilde Karlo offensichtlich mit » Hütte«: drei gleiche und zwei gleiche Augenzahlen.
» Entschuldigung, das ist keine Hütte«, sagte ich.
» Natürlich ist das eine«, sagte Gold-Piet schnell und sah mich mit seltsam runden Augen an.
» Oh doch«, sagte auch Hilda. » Doch, doch, sieh mal hin.« Sie räusperte sich vielsagend.
» Aber nein«, beharrte ich erstaunt. » Das da ist eine Drei. Es müsste eine Zwei sein.«
» Das IST eine Hütte«, sagte Hele und wollte die Würfel einsammeln und in den Würfelbecher tun, denn sie war als Nächste dran. » Manche haben einfach Glück beim Würfeln.«
» Aber …«, sagte ich und suchte in der Anleitung die Stelle über Full House.
Kalle nahm sie mir aus der Hand und sah mich mit demselben Ausdruck an wie Gold-Piet. Blitzschnell, trotz seines Leibesumfangs, hinderte der Wilde Karlo Hele daran, die Würfel einzusammeln, und sah sich sein Würfelergebnis noch einmal an. » Vilja hat recht. Das ist keine Hütte, da ist ja eine Drei.« Er sah bestürzt aus.
» Ihr habt mich beschummelt!«, sagte er langsam. » Ihr wolltet mir weismachen, ich hätte es geschafft. Ihr alle, außer Vilja.«
» Boss, in dieser Beleuchtung sah es
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