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Vilm 01. Der Regenplanet (German Edition)

Vilm 01. Der Regenplanet (German Edition)

Titel: Vilm 01. Der Regenplanet (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karsten Kruschel
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Bruder, schlief ungerührt weiter.
    Das nächste Hindernis, das er bewältigen musste, war die Tür, die beim Schließen erbärmlich quietschte. Will öffnete sie nur so weit wie unbedingt nötig, zwängte sich hindurch und holte, leise tappend, das Ölfläschchen aus der Schleusenkammer. Damit ging es. Das Weitere war schnell getan – er schlüpfte in die doppelt genähte Unterwäsche, den wasserabweisend imprägnierten Zweischicht-Overall, die Langstiefel mit den Kniemanschetten und die lange, dick gefütterte Kapuzenjacke. Auf der Brust, ungefähr da, wo das Herz saß, und auf dem Oberarm war ein rundes Symbol aufgesetzt. Ein kleines Namensschildchen hatte Wills Mutter selbst geschrieben und mühsam auf den schweren Stoff genäht. Die vier Buchstaben waren mittlerweile von Wind und Regen fast völlig ausgelöscht. Ein dunkelgraues Viereck. Darunter das Logo der OOSTERBRIJK, dessen Farben langsam, aber stetig verblassten.
    In der Schleuse, deren Tür zur Sicherheit gleichfalls einen Tropfen Öl verpasst bekam, legte Will den Gürtel mit den Jagdutensilien an und schulterte seine Waffe, eine langläufige Drei-Arten-Flinte. Er hatte sie im vorigen Jahr zu seinem dreizehnten Geburtstag bekommen und ging nie ohne sie hinaus. Man konnte wahlweise Laserstrahlen, Platzgeschosse oder Lähmimpulse damit abgeben und die Zieleinrichtung als Fernrohr benutzen. Natürlich war er zum Platzen stolz auf das Ding, während es seine Mutter sehr beruhigend fand, den Kleinen nicht wehrlos zu wissen. Sie hatte sich in diesem Punkt eingehend mit der Einarmigen Eliza gestritten, die der Meinung gewesen war, dass es töricht und schädlich sei, einen ihrer Schüler mit so einer Waffe zu beschenken. Wills Mutter hatte die Diskussion natürlich gewonnen – sie pflegte derartige Diskussionen prinzipiell für sich zu entscheiden. Natürlich hatte Eliza das Thema in der Schule ausführlich behandelt. Auf den stolzen Besitzer einer langläufigen Drei-Arten-Flinte hatte das wenig Eindruck gemacht. Will überprüfte den richtigen Sitz seiner Ausrüstung, tippte dem Wächter etwas ein, damit der ihn hinausließ, und kaum war der Junge im Freien, lief er den gewohnten Pfad den Hügel hinauf, ohne sich umzusehen. Bei den Eltern hatte sich der Wächter jetzt mit einem Summton gemeldet und zeigte ihnen, dass und wann ihr Sohn gegangen war. Es war Will vollkommen klar, dass er außer Rufweite sein musste, ehe der Vater es sich anders überlegte.
    Hinter dem Lagerschuppen, der die Grenze der Siedlung kennzeichnete, blieb Will stehen, verschnaufte und horchte. Die Eltern hatten nichts dagegen, dass er wieder so früh weggegangen war. Sicher hatte die Mutter nachgesehen, ob der Junge sich warm angezogen hatte. Und dann war sie zähneklappernd zum Vater ins Bett gegangen, um sich aufzuwärmen; Carl Carlos senior würde knurren und weiterschlafen. Die Erwachsenen waren so kälteempfindlich. Jeden Morgen machten sie ein Gezeter, es sei furchtbar kalt und mit Sicherheit kälter als am Vortag. Und das Erste, was sie taten, war, eine winzige Tasse eines ekelhaften glühendheißen Getränks hinunterzustürzen, das Kaffee hieß. Will drehte sich der Magen um, wenn er den Geruch von diesem Zeug einatmete. Es war selten, und der Vorrat wurde sorgsam gehütet, als wäre es kostbar.
    Will lehnte sich an den Schuppen, sah sich um, sog prüfend die Luft ein. Es fiel ein sehr feiner, mit größeren Tropfen durchsetzter Regen, den die Kinder »mittelgraues Geniesel« nannten. Die Erwachsenen unterschieden nur Regen, Nieseln und kein Regen voneinander; Letzteres kam kaum vor. Die Kinder konnten versuchen, ihnen die feinen, spürbaren Unterschiede klarzumachen, die es zu sehen und zu fühlen gab im »Regen« oder »Nieseln«, aber es hatte wenig Sinn. Sie guckten einen nur groß an, bestenfalls bemühten sie sich, so zu tun, als verstünden sie.
    Will musste lächeln, als er an die Einarmige Eliza dachte, die die zwanzig oder vierzig Namen des Regens wie selbstverständlich benutzte. Das hatte sie fein raus. Meist traf sie freilich daneben. Immerhin hatte sie sich die Worte gemerkt. Das war eine Menge. Wirklich verstehen, was hinter all den unterschiedlichen Arten Regen und Wind steckte, konnten die Erwachsenen nicht, keiner von ihnen. Zum Beispiel kapierten sie nicht, wieso »hellgrau« in Bezug auf das Wetter das größte Lob war, das man sich denken konnte. Heute würde hellgraues Wetter sein, das konnte Will riechen. Gab es irgendeine Pflanze, die vorsorglich ihre

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