Vilm 01. Der Regenplanet (German Edition)
Ausdruck angeblicher Unschuld. Jonathans Eingesicht legte die Schnauze in den Dreck und ließ blubbernde Blasen in einer Pfütze steigen. Alle Alarmzeichen waren beisammen, auch das wichtigste: Sdevan war nirgends zu sehen.
»Verdammt«, sagte Jonathan resigniert, »wenn du nur endlich diesen Blödsinn bleiben lassen könntest.« Er drehte sich um, suchte seinen Freund und fand ihn an einer deutlich steileren Stelle des Hanges, den sie gerade erklettert hatten. Das Eingesicht erkannte sofort, dass Sdevan wohlweislich außerhalb des Erfassungsbereiches der Augäpfel blieb. Zwar konnten die Dinger nur eine Aufnahme in der Sekunde machen, aber man wusste ja nie. Jonathan spähte zum Wagen hinüber, dessen Funkanlage momentan damit beschäftigt war, das vor einem Augenblick geschossene Bild in eine ausreichend große Zahl von Pixeln zu zerlegen und die eines nach dem anderen zum Empfangsgerät in Vilm Village hinüberzuschicken. Das konnte dauern. Das würde sogar ziemlich lange dauern, weil es ein stereoskopisches Bild war, also eigentlich zwei Bilder, und die beide in Farbe und in der maximal möglichen Qualität. Die handgefertigte Technik, über die sie verfügten, hatte mit den zahlreichen atmosphärischen Störungen da unten im Süden so ihre Probleme.
Was Sdevan da tat, musste das sein, was in den Geschichten der Einarmigen Eliza »sich die Zeit vertreiben« genannt wurde. Jonathan hatte diesen Gedanken kaum gedacht, als Sdevan oben Anlauf nahm und mit Schwung seitlich in den abschüssigen Matsch sprang, den Körper ganz langgestreckt. In einer Wolke aufspritzenden Schlamms rutschte er den Hang hinunter, immer schneller werdend. Das Wasser, das der reichlich gefallene Regen hinterlassen hatte, wirkte zusammen mit aufgeweichtem Matsch als Gleitmittel. Sdevan beschleunigte weiter den Abhang hinunter. Das wird zu schnell, stellten die beiden Eingesichter fest und rannten los, um das Schlimmste zu verhindern. Sdevan hatte keine Bremse, sein Eingesicht teilte sein Erschrecken. Jonathan wollte den beiden hinterher und spürte, wie er den Halt verlor. Der Rest des Zwischenfalls spielte sich buchstäblich im Modder ab.
Die beiden Mädchen und ihre beiden Eingesichter betrachteten die vier Gestalten, die kurz darauf vor dem Geländekugler standen, mit kritischen Mienen und mussten sich beraten. »Wollen wir die wirklich hereinlassen?«
»Ich denke, das verstößt gegen unsere Sicherheitsvorschriften. Sollten wir nicht unbekannten Lebensformen aus dem Wege gehen?«
»Stimmt. Und die hier scheinen die ersten Aliens zu sein, denen wir auf diesem Planeten begegnet sind.«
»Wie schrecklich. Die haben ja nicht einmal Haut. Schau nur, sie haben eine Körperoberfläche aus Schlamm.«
»Und diese Glubschaugen in all dem Dreck.«
»Wenn wir die waschen, lösen sie sich womöglich auf.«
»Oder sie fangen an, sich zu vermehren. Was eine viel schrecklichere Möglichkeit ist – ganz Vilm von schmutztriefenden hässlichen Gestalten überrannt. Überall schleimige Patschfüße.«
Die Äuglein der Eingesichter drinnen im Trockenen funkelten, und Tonja lachte hellauf. »Stimmt«, sagte sie, »wir sollten sie aneinanderbinden und den Lehmklumpen, aus dem die vier gemacht sind, wieder zusammenpappen. Vielleicht guckt der dann etwas glücklicher.«
»Wie humorvoll«, sagte Sdevan und spuckte fruchtbare vilmsche Erde aus, »dabei bin ich nur hingefallen.«
»Die Untertreibung des Tages«, mümmelte Jonathan, der noch mehr Ackerkrume im Mund hatte. Das gehaltvolle Gespräch wurde unterbrochen von einem Piepsignal: Das erste der beiden Bilder war komplett übertragen und sein Empfang bestätigt worden. Marja betätigte ein paar Schalter. »Ihr solltet versuchen, etwas weniger im Schlick gewälzt auszusehen, wenn wir mit Vilm Village reden. Die machen sich sonst ernsthaft Sorgen.«
»Zum Beispiel über Ungeheuer im Schlamm«, murmelte Tonja und bekam prompt einen Knuff von Marjas Eingesicht versetzt; das zweite Bild würde bald durch sein. Und die normale Videoübertragung war schneller, weil sie nur Einzelbilder und nur Schwarzweißaufnahmen nach Vilm Village verfrachtete. In guten Momenten – wenn die Störungen nicht gar so stark waren – schafften es die Geräte, ein neues Bild in anderthalb Sekunden aufzubauen. In beiden Richtungen. Und die Leute am anderen Ende machten sich ohnehin mehr als genug Sorgen, weil sie den vier – oder acht – Verrückten erlaubt hatten, sich in dieses Abenteuer zu stürzen. Mehr als einmal
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