VILM 02. Die Eingeborenen (German Edition)
seine Hand auf die nächstliegende rote Linie, presste die Handfläche kurz dagegen. Eine Informationsflut von gigantischen Ausmaßen stürzte ins Hirn des Mannes – alle Daten der Erkundung, alle Sternenkarten in allen Frequenzbereichen, die Messungen der Gravimeter und der Magnetometer, die Datenketten der Fernsensoren, die Lauschprotokolle der Funkempfänger. All das war vom Rechnernetz der Zentrale und den angeschlossenen Menschenhirnen gefiltert und vorbereitet worden. Nun konnte der Chefnavigator guten Gewissens mit den Achseln zucken.
Christoff seufzte, und Tullama zuckte zusammen. Das Geräusch hatte geklungen, als kratzte jemand mit einem Schiefergriffel auf poliertem Marmor herum. »Nun gut«, sagte der Lotse, »dann machen wir einen weiteren Minimalsprung.«
Alles stöhnte. Einige sahen verstohlen zum Kapitän. Der dachte nicht daran, den Befehl des Lotsen zu widerrufen. Auch wenn dieser Befehl unsinnig erschien. Man widersprach einem Lotsen nicht. Die Armorica hatte Dutzende von Sternsystemen überprüft, in deren Nähe die Oosterbrijk damals eventuell Pausen eingelegt hatte, um sich zu orientieren. Nirgendwo hatte es den leisesten Hinweis gegeben; dennoch hatte der Lotse Masurat alles genauestens absuchen lassen, und alle Daten waren gespeichert worden. Die Mannschaft war des Rituals müde, und die Techniker hatten Mühe, die gigantischen Mengen von völlig unnützen Informationen zu speichern und aufzubereiten. Die Stimmung war gespannt. Und als hätte man nicht genug Stress, kam in genau diesem Augenblick der unsägliche Reporter herein und grüßte Tullama unterwürfig. »Kann ich ihn heute interviewen?«, fragte Kevin.
Tullama schaute ihn genervt an. »Geben Sie eigentlich nie auf?«
»Wenn es sich vermeiden lässt, eigentlich nicht«, sagte der Reporter und schaute so zuversichtlich drein, wie es ihm nur möglich war.
»Ich weiß nicht, ob ich Ihnen das Betreten dieser Räume nicht verbieten sollte.«
»Ich will nicht aufdringlicher erscheinen, als ich bin ... Haben Sie jetzt, für einen Augenblick, mein Empfehlungsschreiben vergessen?«
»Das habe ich nicht, nicht einmal für einen Augenblick«, sagte Tullama in einem Ton, der weniger abgebrühte Menschen hätte erbleichen lassen, »ich denke jedes Mal an dieses Empfehlungsschreiben, wenn ich das Unglück habe, mit Ihnen zu sprechen. Das ist ja gerade das Problem.«
»Wieso habe ich nur manchmal das Gefühl, ohne den Brief vom guten alten Tyrrell hätte ich längst einen kleinen Fehltritt begangen und würde steifgefroren um irgendeinen Mond kreisen?« Kevin grinste.
»Manche Gefühle trügen eben doch nicht«, versetzte Tullama gelassen und ließ Kevin stehen, dessen Grinsen zu einer kummervollen Grimasse wurde. Nun wechselte das Gesicht des Reporters etwas die Farbe. Das war hoffentlich nicht ernst gemeint, fragten seine Augen und huschten von einem Zentralier zum anderen. Alle hatten Dringenderes zu tun, als Kevin zu beruhigen. Mit langen Schritten ging der Kapitän zu Christoff Masurat hinüber, dessen breitschultrige Gestalt in ihrer Bewegungslosigkeit wie ein Monument wirkte. Gekleidet war der Loste nicht in eine Uniform oder seine sportliche Privatkleidung; wegen seiner zunehmenden Unbeweglichkeit hatte er eine merkwürdig aussehende Montur an, die mit einer Menge von Reißverschlüssen versehen war. Man konnte das Ding anlegen, statt es anzuziehen. Tullama fragte Christoff nach seiner Meinung, was Kevin und seine seit Monaten wieder und wieder erneuerten Anfragen betraf. Christoff drehte seinen Kopf langsam in die Richtung, die Tullama ihm wies, und starrte den Reporter sekundenlang an. Die Bewegung des Lotsen sah schmerzhaft aus. Fast hätte man das Knirschen seiner Halswirbel hören können.
»Na gut«, sagte er mit seiner sandig klingenden Stimme, und er sprach ganz langsam und ganz leise, »soll er seine verdammten Fragen stellen. Nur fünf Minuten, und keine einzige Sekunde länger.«
Einem Kapitän steht es nicht zu, die Entscheidungen seines Lotsen zu kommentieren, also gab Tullama die Information an Kevin weiter und zog sich zurück. Innerlich schüttelte er den Kopf; er hatte damit gerechnet, dass der Reporter auch bei diesem Versuch den Kürzeren ziehen würde. Kevin dagegen ließ sich seine Überraschung und Erleichterung nicht anmerken. Noch während er auf Christoff zuging, schaltete er seine Aufzeichnungsgeräte ein, und um seinen Kopf entfalteten sich wie Blütenblätter Sensoren und Kameras, farbig dezent
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