VILM 02. Die Eingeborenen (German Edition)
Akustik des Nebels narrte. Oder waren es die Gestrolche, die ihn in die Irre laufen ließen? Die ungewöhnliche Kühle dieses Tages?
Kevin blieb keuchend stehen. Der Gleiter war gelandet und verstummt. Darin wartete ein bequemer und vor allen Dingen warmer Sitzplatz, der ihn zurück in die Zivilisation bringen würde. Da gab es eine Heizung, die man bis zum Anschlag aufdrehen konnte. Eben Zivilisation. Hier irgendwo in der Nähe. Aber wo? Und in welcher Richtung lag das Dritte Dorf? Er fuhr zusammen und drehte sich um. Da stand kein Eingesicht, das ihn zur Siedlung hätte zurückbringen können. Da war nichts als feucht schimmernde Gestrolche und Nebel. Der wolkenverhangene Himmel war verschwunden in einem Schleier, der unten und oben ununterscheidbar verwischte. Und die Gestrolche sahen absolut identisch aus; Kevin wusste nicht mehr, an welchem er eben gerade vorbeigegangen war. So stand er eine Weile, während er Blut in den Ohren rauschen hörte und seinen Herzschlag schmerzhaft in der Kehle spürte. Die Wärme entwich seinen Kleidern und machte einer unangenehmen Kühle Platz. Das können sie doch nicht machen, dachte er, und als das Summen der Aggregate wieder anhob, wollte er seinen Ohren nicht trauen. Die Maschine würde ohne ihn starten. Kevin schlug sinnlose Haken in der verhüllten Landschaft, die ihn nirgendwohin führten – ehe er aufgab und lauschte, wie schätzungsweise kaum zweihundert Meter entfernt der Gleiter sich in den Himmel schwang und davonflog. Der Reporter hatte nicht einmal ein Stück Tragfläche gesehen, als er sich die Frage vorlegte, wie in drei Teufels Namen er zum Dritten Dorf heimkehren sollte. Dort könnte er bei Cass auf den nächsten Transport warten. Hoch oben, unsichtbar in einem dunstverhangenen Himmel, verklang das Geräusch des Gleiters, und Kevin starrte ratlos auf Pflanzen, die genauso aussahen wie die, an denen er vor etlichen Minuten vorbeigegangen war.
Nachdem Kevin mehrere Stunden lang versucht hatte, sich an die konkreten Schritte seines Herumlaufens zu erinnern und so den Weg zu finden, gestand er sich ein, dass er hoffnungslos in die Irre gegangen war. Ich kann etliche Meilen vom Dorf entfernt sein, dachte er, und es überlief ihn kalt. Er breitete eine Plastikplane aus – er hatte Angst vor den tastenden Beinen der Wurbls – und bereitete sich auf die Nacht vor, die bald anbrechen musste. Sein Gepäck nutzte ihm nichts. Die Taster, mit denen er die Kinder ausspioniert hatte, besaßen nur geringe Reichweite. Keine Chance, dass er mit ihnen das Dritte Dorf hätte orten können oder irgendetwas anderes, das weiter als zehn Schritte entfernt lag. Kevins einzige Hoffnung bestand darin, dass es morgen klar wäre und die Siedlung in Sichtweite. Oder, dachte Kevin, die Vilmer suchen mich; allerdings bin ich für die mit dem Gleiter abgeflogen. Wie dem auch sei, die vordringlichste Aufgabe des Moments war schnell formuliert: Er musste irgendwie die Nacht überstehen. Überleben, dachte Kevin ... Diesen Gedanken verbot er sich sofort. Um Wurbls fernzuhalten, faltete er die Plane, so weit wie es ging, auseinander. Zwar bedeckte sie auf diese Weise ein großes Stück durchweichten Landes, sodass er sich vor den tödlichen Wuselwesen sicher glaubte. Allerdings war seine Schlafunterlage dadurch so dünn geworden, dass sie sich anfühlte, als liege er auf dem bloßen Erdboden. Und der war so weich, dass Kevin glauben konnte, er liege ohne Abschirmung direkt im Schmutz. Mittlerweile brach die Dunkelheit herein, und gemeinsam mit dem immer dichter werdenden Nebel ließ sie die Welt rings um Kevin verschwinden. Kalt wurde es, dass der Reporter laut mit den Zähnen klapperte, obwohl er ein Kleidungsstück nach dem anderen aus dem Gepäck geholt und angezogen hatte. Es war ganz normales Reisegepäck, und es enthielt weder ein Heizgerät noch andere High-Tech-Maschinchen für kühle Nächte. Nach dieser Nacht, an die Kevin sich sein Lebtag nicht mehr erinnern wollte, war er todmüde und völlig durchgefroren. Er hatte nicht geschlafen, während die Kälte in seinen Körper sickerte und ihm Krämpfe verursachte. Er war sich nicht sicher, ob seine Hoden jemals wieder ihre natürliche Größe erreichen würden. Unheimliche Geräusche hatten ihn verschreckt, markerschütternde Schreie, die klangen, als würde ein Kind langsam geschlachtet. Kevin fand diesen Vergleich grausig, aber passend für seine geistige Verfassung. Nicht nur wegen der Kälte und des entsetzlichen Gekreischs tat er
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