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VILM 02. Die Eingeborenen (German Edition)

VILM 02. Die Eingeborenen (German Edition)

Titel: VILM 02. Die Eingeborenen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karsten Kruschel
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kaum ein Auge zu – einige Male schrak er hoch, weil er einen forschenden Blick auf sich ruhen spürte, und in einem besonders bestürzenden Moment der Panik sprang er auf und schrie sich die Seele aus dem Leib, weil er spürte, dass ihn etwas oder jemand berührte.
    Am Morgen entdeckte er zweierlei: Die Spuren im weichen Boden verrieten, dass Eingesichter in der Nacht da gewesen waren, Dutzende davon. Oder ein einziges war immerzu herumgelaufen. Immer um ihn herum. Das musste es gewesen sein, was ihn fast in den Wahnsinn getrieben hatte. Der Nebel war fort und einem leichten Nieseln gewichen. Der Reporter war völlig durchweicht worden, während er irgendwann doch in einen flachen Schlaf gefallen war. Und Kevin sah in der Nähe den Mast des Landeplatzes emporragen. Das verdammte Ding war mit einem bequemen Spaziergang von drei Minuten zu erreichen. Er musste gestern im Nebel mehrmals nahe daran vorbeigetappt sein. Ächzend vor Kälte und der Schwierigkeit, sich mit seiner klammen Kleidung zu bewegen, kletterte Kevin hoch. Von diesem Mast aus konnte man das Dritte Dorf sehen, und in kaum einer halben Stunde war Kevin dort. Alle Flüche und Schimpfwörter, die er kannte, verbrauchte er auf diesem Weg, und das Gewicht seines Gepäcks, das sich inzwischen mit kaltem Wasser vollgesogen hatte, ließ ihn mehrmals straucheln und lang hinschlagen.
    Der Container der Familie Cass im Dritten Dorf war verschlossen. Es war zu früh, um anzunehmen, es seien alle unterwegs. Der Reporter holte tief Luft – ruhig, ganz ruhig, halt an dich, Kevin – und ließ seine Last in den Dreck klatschen. Alles darin, was nass werden konnte, war nass.
    »Bitte?«, quarrte eine unerkennbare Stimme aus der Sprechanlage, nachdem Kevin geklingelt hatte. Die Klingeln an den hiesigen Behausungen waren ihm bereits am ersten Tag merkwürdig vorgekommen. »Hier ist Kevin, es muss ein Irrtum passiert sein. Tom hat mich gestern nicht abgeholt ...«
    »Ja?«
    »... und so habe ich den Gleiter verpasst. Ich musste sogar die Nacht draußen verbringen, weil ich des Nebels wegen das Dorf nicht finden konnte.« Keine Antwort. »Ich muss wohl eine Woche länger bei Ihnen bleiben. Lassen Sie mich bitte herein?«
    »Tut mir leid. Das Zimmer ist belegt.« Die verzerrte Stimme klang keineswegs, als tue ihr irgendetwas leid.
    Kevin holte tief Luft. »Dann ein anderes ...«
    »Ein anderes haben wir nicht.«
    »Das können Sie doch nicht machen, Cass!«, rief Kevin erbost. Er bekam keine Antwort. Das Bereitschaftslämpchen der Sprechanlage war erloschen. Kevin starrte es ein paar Minuten lang hilflos an. Besuchen Sie den Regenplaneten, dachte er, freundliche Leute, es pladdert, Sie sind pitschnass und frieren sich Arsch und Eier ab, besuchen Sie diese Welt, es lohnt sich, primitive Sitten werden Sie tief beeindrucken. Es macht mehr Spaß, als auf Karna in klirrender Kälte von einem Jugendlichen verprügelt zu werden, der zwei Meter zehn groß und mit seinen zweihundertachtzig Pfund lange nicht ausgewachsen ist. Kevin drehte sich um. Er würde mit keinem Mitglied der Familie Cass jemals wieder ein Wort wechseln.
    Eine halbe Stunde später hatte er es sich anders überlegt. Weder die Leute in dem igluähnlichen Haus noch die in dem seltsamen Bau aus lauter Röhren hatten ihm die Tür aufgemacht. Auch in dem Puzzle-Haus aus Panzerbruchteilen wies man ihn erbarmungslos ab. Eisig blieb die Luft, und dem Reporter war, als würden seine Geschlechtsteile nicht nur vor Kälte immer weiter schrumpfen. Das Dritte Dorf war vermeintlich mit Fremdlingen völlig überbelegt. Was war los mit diesen Wilden, dachte Kevin wütend, was wollten sie von ihm? Sollte er verfaulen, den Abflug der Armorica verpassen? Kevin fragte nochmals bei Cass nach, von dem kam nichts als die trockene Bemerkung, er solle selbst herausfinden, warum plötzlich alle Zimmer belegt und alle Häuser voll ausgebucht wären. Da stand er. Der Regen, der zu allem Übel seit dem Morgen heftiger geworden war, schlug in stetiger Beharrlichkeit herab. Du musst die kommende Woche herumbringen, sagte sich Kevin. Eine Woche. Sechs solche Nächte wie die vergangene. Fast hätte er bedauert, dass er kein Funkgerät besaß, mit dem er die Armorica hätte um Hilfe bitten können. Er hatte es selbst so gewollt, war stolz darauf gewesen, nicht zur Besatzung des Weltenkreuzers zu zählen, keinem Befehl zu unterliegen, Erkunder besonderer Art zu sein. Auf eigene Rechnung. Und insbesondere Tullama zu nichts verpflichtet.

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