VILM 02. Die Eingeborenen (German Edition)
brach herein. Er rollte sich verzweifelt zusammen und wimmerte. Endlich, nach endlosen Augenblicken, ging das Schott auf, und das Eingesicht stürzte zurück in die Kammer, aus der es ausgesperrt gewesen war. Die Welt kam in Ordnung, und die grauenhafte Dunkelheit wich zurück. Tränen brannten in Toms Augen.
»Ist Ihnen klar, dass wir ein Experiment anstellen, dessen Verlauf für dieses Wesen tödlich sein könnte?«
»Das ist uns vollkommen bewusst. Dieses Risiko gehört zu den Gründen für die außerordentliche Geheimhaltung in dieser Sache. Aber die anderen Gründe, die es gibt, sprechen nicht dagegen, das Experiment durchzuführen. Im Gegenteil, sie zwingen uns, dieses Risiko einzugehen.«
»Ich bin nicht sicher, ob ich verstehe, was Sie damit meinen. Man hat mich nur unvollständig eingeweiht.«
»Das liegt in der Natur der Sache.«
»Wie soll man Forschungsarbeit leisten, wenn man die Gründe der eigenen Arbeit nicht kennt?«
»Sie erliegen einem Missverständnis. Wir treiben keine Forschung. Wir führen ein Experiment durch und dokumentieren es für unsere Auftraggeber. Es steht uns weder zu, seine Durchführbarkeit zu diskutieren, noch haben wir über moralische Implikationen nachzudenken.«
»Und damit sind Sie zufrieden?«
»Natürlich. Wenn es der Bruderschaft dient – und meinem eigenen Fortkommen im Orden –, führe ich den Auftrag selbstverständlich aus. Selbst wenn er, wie in diesem Falle, mit einigen ungewöhnlichen Nebenbedingungen verbunden ist. Sehen Sie, das Wesen ist aus dem Koma erwacht, in das es die Wiedervereinigung gebracht hatte.«
»Wenn ich die Anzeigen richtig interpretiere, hat es sich weniger um ein Koma gehandelt als um einen Neuaufbau von Interaktionen. Die Stoffwechselaktivitäten des Wesens sind während des Komas, wie Sie es genannt haben, auf einem hohen Niveau stabil geblieben.«
»Richtig. Kein Koma. Also hat es eine Verbindung zwischen den beiden Einheiten gegeben, als das Schott geschlossen war. Haben die Instrumente irgendeine Kommunikation zwischen den beiden aufgezeichnet?«
»Nein. Jedenfalls keine, die die Rechner als solche erkannt haben. Die gesammelten Datenmengen sind gewaltig.«
»Die Auswertung überlassen wir weisungsgemäß anderen.«
»Sind Sie damit wirklich zufrieden?«
»Zufrieden? Zufrieden bin ich, wenn ich meinen Kontostand sehe. Lassen Sie uns mit dem Experiment fortfahren und die beiden Einheiten nochmals trennen, und zwar diesmal mit der Maximalvariante.«
»In Ordnung. Versuchsaufbau zwei. Trennung durch achtzig Zentimeter Spezialstahl, massiv, beidseitig mit einem Meter Absorbermasse beschichtet. Los geht’s.«
Tom spürte die Veränderung, ehe er sie sah. Ein dumpfes Erzittern ging durch den Fußboden. Unter oder neben diesem Raum arbeiteten schwere Maschinen. Da öffneten sich noch mehr Schotts, einige davon so dick, dass die von ihnen freigegebenen Öffnungen wie Tunnel wirkten. Andere Durchgänge schlossen sich. Ich bin eine Ratte im Labyrinth, dachte Tom und fletschte unbewusst die Zähne. Dann überraschte ihn ein schnatterndes Geräusch; es stammte von seiner menschlichen Hälfte. Es war kalt, was dem Eingesicht kaum etwas ausmachte, aber wo Tom kein Fell hatte, war er so gut wie nackt. Er trug nur seine kurze Hose aus Rehschweinleder. Zwar war die Regennässe auf seinen bloßen Schultern und Beinen inzwischen getrocknet, aber die Temperatur in diesen unheimlichen Kammern war mittlerweile weit unter das gefallen, was er von Vilm gewohnt war. Das einzige Kleidungsstück Toms, das der Kälte hier widerstand, waren die soliden Stiefel. Wenn ich erfroren bin, dachte Tom, sind wenigstens meine Füße warm. Er beschloss, sich zusammenzunehmen, und näherte sich vorsichtig dem nächstliegenden Durchgang. Sich zusammennehmen war wörtlich gemeint; seine beiden Körper blieben dicht beieinander, auf Tuchfühlung, so wie er es als Kind gemacht hatte, wenn ihm etwas nicht geheuer gewesen war. Will nannte diese Verhaltensweise »im dunklen Keller pfeifen und singen«, wenn auch Tom nie verstanden hatte, was das besagen sollte. Er fühlte sich sicherer, wenn das Fell an der Haut seiner Beine rieb. Es war ein gutes Gefühl, im Fall aller Fälle seinen Kopf zwischen die Knie stecken zu können.
Er spähte mit all seinen Augen in einen Tunnel. Überall dieses schwärzliche Zeug. Tom hustete, nicht weil es im Hals kratzte, sondern einfach, um zu hören, wie das klang. Er hörte keinerlei Echo. Der Schall wurde genauso geschluckt wie alles
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