Vilm 03 - Das Dickicht (German Edition)
unterirdisches Meer? Stoßen wir auf einen interdimensionalen Zeitwirbel? Werden wir von einem schwarzen Loch verschluckt?«
Das Haus ratterte über harte, jahrhundertealte Stubben und drehte sich erneut. Thanassatrides rutschte die Wand entlang. Eigentlich ein Wunder, dachte er, dass dieses aus Rochengleiterhüllen zusammengesetzte Gebilde noch nicht stecken geblieben ist, mit all den herausragenden Flügelteilen und Rumpfspitzen. Oder: Ein Wille, ein Irgendwer, eine steuernde Kraft hat dafür gesorgt, dass ein sperriges Haus wie dieses heil ein paar Kilometer durch das pflanzliche Netzwerk hinabpoltern kann.
Schließlich hatten Rijo und Sergios fast den Sitz erreicht, um den sich Jonas Leib beharrlich geschlungen hatte, und Rijo rief ihm zu, dass er loslassen könne, die paar Handbreit wären nicht der Rede wert. Er plumpste mit geschlossenen Augen neben ihnen herunter.
»Ich weiß wirklich nicht, was das ist«, sagte er.
Das Gerumpel der hölzernen Leitpfosten draußen wurde gröber und lauter, als ginge dem Steuermann des kontrollierten Absturzes die Macht verloren, den Weg des Hauses zu bestimmen.
»Es gehört hier nicht hin«, sagte Jona schließlich. Dieser Satz war nicht dahergesagt, das konnte man hören. Der Vilmer meinte das so.
Mit einem heftigen Ruck stellte sich das Haus schräg, und was jetzt an den alten Gleitern entlangschabte, war nicht biologisch. Grell kreischend rubbelte da offenbar Gestein über das Metall. Alles erbebte unter der Wucht einer plötzlichen Bremsung, und in einem seltsamen schrägen Winkel kam das Haus zur Ruhe.
Die eintretende Stille war nach all dem Gepolter und Gerumpel unwirklich.
Rijo traute sich, in diese Ruhe nach dem Fall zu sprechen. »Seid ihr in Ordnung?«, fragte sie.
»Ich glaube schon«, entgegnete Sergios, der seine Implantate rasch durchgeprüft hatte.
»Mir geht es gut«, antwortete Jona, der nun die Augen wieder aufmachte. »Und dem Haus ist erstaunlicherweise nichts Dramatisches geschehen. Ein paar Antennen fehlen, das ist alles.«
»Nichts Dramatisches«, sagte Rijo. »Wir donnern Kilometer um Kilometer in die Kelleretagen des Wolkengebirges hinunter, und das, findest du, ist nichts Dramatisches?«
Jona grinste. »Wir leben noch.«
Thanassatrides räusperte sich. »Wo?«
»Ziemlich weit unten, das steht fest.«
Aus dem Durchgang zum Steuerraum trabten die beiden Eingesichter hervor und machten sich an dem Balkon zu schaffen, wo der Zentralier mit den Blumen Zwiesprache gehalten hatte. Offenkundig wollten sie diese Luke wieder öffnen.
Sergios sah es mit zwiespältigen Gefühlen.
»Ob das so eine gute Idee ist«, sagte er. »Ich weiß nicht mal, ob man da draußen atmen kann.«
»Oh«, sagte Rijo, »das kann man, natürlich. Wir haben es bereits überprüft.«
Thanassatrides vergaß immer wieder, dass diese Leute jederzeit an zwei Stellen zugleich waren. Natürlich hatten die Eingesichter längst mit den Messgeräten im Steuerraum festgestellt, dass es in dieser unfassbar tief liegenden Höhle saubere Luft gab.
»Wir haben auch herausgefunden«, meinte Jona, »dass der Grund für diesen langen Absturz vermutlich mit dir zu tun hat, Sergios. Und mit dem, was du bist.«
Der Zentralier sah verblüfft drein. Er fand keine Antwort.
Die Luke öffnete sich und protestierte dabei mit kreischenden Geräuschen gegen die unsanfte Behandlung in der jüngsten Zeit. Herein drang eine kühle, aromatisch nach Pilzen in einem dunklen Keller riechende Luft. Während die beiden Eingesichter davon sprangen, ging Jona vorsichtig nach draußen und winkte Sergios nachzukommen. Als Thanassatrides dem Vilmer folgte, fiel ihm auf, dass aufmerksame Blicke auf ihm hafteten, von vorn, von hinten und vermutlich auch aus der Düsternis dort draußen heraus. Er trat hinaus, hatte kurz Schwierigkeiten mit dem Gleichgewicht, als seine Füße auf glitschigen Stein traten, und blickte sich um.
Das aus Rochengleitergehäusen zusammengesetzte Haus lag leicht schräg, ein überdimensionierter Edelstein, auf einem sanft geneigten Hang, über dessen felsige Oberfläche sich Stämme und Lianen wanden wie die Venen auf der Hand eines alten Mannes. Die riesige, tropfende Höhle bildete eine Schale um einen glitzernden Kern herum. Dieser Kern war ein unregelmäßiger Würfel, dessen bizarr gezackte Kanten alle mehr oder weniger um die hundert Meter messen mochten. Er leuchtete von innen heraus, pastellfarbene Flächen, kühle Linien. Weltenkreuzer-Technik.
Sergios spürte, wie sein
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