Vilm 03 - Das Dickicht (German Edition)
wollte«, sagte Thanassatrides aufgeregt. »Das ist kein Haufen irrsinnig großer Pflanzenmischlinge, es ist ein denkendes Wesen ... oder es gibt jemanden darin, der dem sehr nahe kommt. Ich hatte recht.« Er schaute aus dem Fenster, vor dem sich ein grün und blau wirbelnder Strudel gebildet hatte. Das sah gefährlich aus – zwischen den Trieben schien es tief hinab zu gehen.
»Wir leben schon eine Weile hier«, sagte Jona, und seine Stimme ließ keinen Zweifel daran, dass er nicht den Planeten meinte, sondern das Wolkengebirge. »So ein Durcheinander wie das da hat keiner von uns jemals zu Gesicht bekommen.«
Die zahllosen Pflanzen und Was-auch-immer-für-Dinge wichen auseinander und gaben den Blick in eine gähnende Tiefe frei.
»Und das schon gar nicht«, setzte Rijo hinzu.
Ehe Sergios antworten konnte, kippten die Äste des Wolkengebirges das Haus und ließen es in die Tiefen hinabgleiten. Es fühlte sich an wie ein Aufzug, der zu schnell nach unten fuhr. Den quiekenden Geräuschen nach zu urteilen, waren Jona-J und Rijo-J niemals mit einem abwärts eilenden Lift gefahren. Die Sämlingslinse verschwand; die Fenster zeigten, wie ein Gewirr aus Ästen und Stämmen vorbeihuschte. Es war kein freier Fall, sondern eher ein Weiterreichen wie das gewohnte – nur deutlich rascher, weil die Schwerkraft als Antrieb diente. Thanassatrides bemerkte, wie ihm die dünnen Arme wehtaten, weil er sich krampfhaft an eines der Tischbeine krallte, die am Boden festgeschraubt waren. Alle Möbel im Haus waren auf diese Art befestigt, weil es sonst ein heilloses Durcheinander beim Weiterreichen gegeben hätte. Die Schwebeschachtel im Vorraum, herumgeworfen wie alles andere, meldete sich bei den Implantaten des Zentraliers mit einem kurzen Impuls ab und gab zischend den Geist auf.
Das Haus fiel.
»Das hat es noch nie gemacht«, sagte Jona-A, der mit fest zusammengekniffenen Augen an der Rückenlehne eines der Stühle hing. Es sah ein wenig grotesk aus, wie er dort baumelte. Sergios vermutete, dass dem Vilmer völlig ausreichte, was seine sechsbeinige Hälfte sah, und er sich nicht zusätzlich durch den visuellen Eindruck seiner Menschenaugen verwirren wollte. Rijo hingegen starrte fassungslos aus dem Fenster; ihre Pupillen versuchten, den vorbeisausenden Gestrolchteilen zu folgen, und zuckten demzufolge heftig hin und her.
»Was«, stieß sie mühsam hervor, »hast du ihm ... gesagt?«
Der Zentralier dachte nach, trotz der Schmerzen in seinen Armen. Hatte er etwas gesagt, in jenen versunkenen Minuten, als die Bewohner und die Kinder der Sämlingslinse durch seine Finger geströmt waren? Er durchforschte seine Protokolle nach Kommunikation. Was er fand, waren Signale, die er nicht deuten konnte. Sie unterschieden sich dramatisch von allem, was er je auf diesem Wege übermittelt bekommen hatte. Während das fallende Haus sich langsam drehte und an endlosen Lianen entlang glitt, versenkte Sergios seine Gedanken in den Aufzeichnungen seiner Implantate. Nichts. Er hatte dem dort draußen nichts mitteilen können. Das dort draußen hatte versucht, sich mitzuteilen. Es war ihm nicht gelungen.
»Ich habe ihm nichts gesagt«, sagte Thanassatrides und schlug die Augen wieder auf.
Es war dunkler geworden. Offensichtlich geriet das gebremst fallende Haus in tiefere Regionen des Supergestrolchs, in die weniger Licht vordringen konnte. Das Scharren der vorübergleitenden Äste war tiefer geworden und lauter, das Haus bebte und zitterte deutlicher. Die Zeit der Lianen ist vorbei, dachte der Zentralier, nun rutschen wir an Baumstämmen entlang.
Rijo unternahm den Versuch, zum nächsten Möbelstück zu gelangen, näher an den Durchgang, hinter dem Sergios den Steuerraum des Hauses vermutete. Von dort her kamen immer wieder leise Schreckgeräusche, die von den Eingesichtern stammten. Die Vibrationen des Hauses rissen Rijos Hände jedoch los, und sie landete an der Wand. Resigniert starrte sie von da unten herauf zu Sergios und Jona, die an ihre Stuhl- und Tischbeine geklammert blieben.
»Wir haben niemals einen derartigen Absturz erlebt«, sagte sie, und ihre Stimme war im Gerumpel der gegen den metallenen Leib des Hauses stoßenden Stämme erstaunlich gut zu hören. »Du musst irgendwas getan haben.«
Das Haus drehte sich wieder in seiner fallenden Bewegung, und Rijo kam mitten auf der Scheibe des großen Fensters zur Ruhe. Die beiden anderen hatten Mühe, sich festzuhalten. Wenn Jona jetzt losließe, dachte Sergios, dann landet er genau
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