Vincent Shadow und seine fabelhaften Erfindungen
Stundenplan und er liebte jedes dieser Fächer bis auf Mathe. Am meisten mochte er Aktionskunst. Denn Aktionskunst wurde von Mr Dennis unterrichtet und Mr Dennis war verrückt.
16 FUUBIEZUUBIE
»Auf geht’s, auf geht’s, sucht euch alle einen Sitzplatz. Wir haben heute viel zu besprechen«, rief Mr Dennis, der auf seinen Schreibtisch geklettert war.
Niemanden schien es zu überraschen, dass Mr Dennis dort oben stand. Es hätte auch niemanden überrascht, wenn Mr Dennis in einem Raumanzug kopfunter an der Decke gehangen hätte. Mr Dennis war verrückt, und Vincent mochte das.
»Mike, Gary, John, los jetzt. Setzt euch hin.«
»Was machen wir heute, Mr D? Malen wir unsere Gesichter an, stellen wir Kunstwerke dar oder werfen wir wieder Sachen vom Dach runter?«, wollte Gary wissen.
»O ja. Darf ich Gary vom Dach werfen, Mr Dennis?«, fragte Lori.
»Nein, nein, nein. Wir werden gar nichts vom Dach runterwerfen. Die Leute im Sekretariat waren nicht gerade glücklich darüber. Sie haben die Kunst darin nicht erkannt. Aber keine Sorge, heute wird es noch viel
aufregender. Setzt euch schnell hin«, sagte Mr Dennis und hüpfte auf dem Tisch hoch und runter.
»Gut. Zuerst die Hausaufgaben«, rief Mr Dennis. »Habt ihr alle eure Skulpturen mitgebracht? Gut, gut. Bringt sie jetzt bitte vor zu mir.«
Die Kunstklasse von Mr Dennis hatte noch acht Schüler. Am Anfang waren es 32 gewesen, doch die meisten Kinder hatten inzwischen in eine andere Klasse gewechselt. Nicht jeder verstand Mr Dennis so gut wie Vincent.
Vincent holte seine Skulptur hervor. Er hatte mehrere Wochen hart daran gearbeitet, härter als an jedem anderen Schulprojekt davor. Es war eine Landschaft mit seltsamen Schneeverwehungen aus Glassplittern und erinnerte Vincent an »Die große Welle von Kanagawa«, einen japanischen Holzdruck, der im Met hing und den seine Mutter besonders geliebt hatte. Vincent stand ganz hinten in der Reihe und hielt seine Skulptur im Arm, Eleanor war wie üblich die Erste.
»Ausgezeichnet, Eleanor. Bitte wirf die Skulptur dort hinein«, sagte Mr Dennis und deutete auf die große Abfalltone vor seinem Schreibtisch.
»Hier rein?«, fragte Eleanor und deutete auf die Abfalltone.
»Genau. Der Nächste, bitte. Oh, Ariel, das Kupfer ist wunderschön grün. Hast du es selbst oxidiert?«
»Natürlich, ich habe es sechs Tage lang im Ofen
erhitzt und alle zwanzig Minuten mit Wasser bepinselt«, erklärte Ariel.
»Wunderbar, einfach wunderbar. Bitte lege deine Skulptur vorsichtig in die Tonne. Nächster. Sehr schön, Mike. In die Tonne damit. O wow, Lori. Hast du all diese Perlen mit der Hand bemalt? Einfach großartig. Bitte in die Tonne und pass auf, dass nichts kaputtgeht«, sagte Mr Dennis, als Lori ihre Skulptur behutsam auf Mikes abstellte.
»Gut gemacht, Chris – und ab in die Tonne. Brillant, Gary. Einfach brillant. Was soll es darstellen?«, fragte Mr Dennis.
»Das sind so, ähm, Basketballtypen, die so eine Art, ähm, Ballett aufführen«, erklärte Gary.
»Die Tonne, bitte«, sagte Mr Dennis zu Gary.
»Oh, John. Glückwunsch! Ist das Paul Klees ›Sonnenuntergang‹ in Maschendraht? Genial, absolut genial. In den Abfall, aber aufpassen, John.«
»Also wirklich, Mr Shadow. Diesmal hast du dich selbst übertroffen. Fantastisch, einfach fantastisch. Ist das Glas?«, wollte Mr Dennis wissen.
»Ja. Handbemalt«, antwortete Vincent.
»Unglaublich. Nur rein damit. Aber immer schön langsam, Mr Shadow.«
Vincent platzierte sein Werk vorsichtig auf dem Haufen Skulpturen, damit es nicht runterfiel, und machte sich auf den Rückweg zu seinem Tisch. Doch er
war noch nicht an seinem Platz, als er Mr Dennis brüllen hörte –
»FUUBIEZUUBIE!«
Vincent wirbelte herum. Mr Dennis war in die Abfalltonne gesprungen und stand nun bis zur Taille in kaputter Kunst. Die Klasse war sprachlos, Ariel und Chris brachen in Tränen aus.
Mr Dennis kletterte aus der Abfalltonne und zog zwei große Glasscherben aus seinem Bein. Er blutete.
»Mochten Sie unsere Skulpturen nicht, Mr D?«, fragte Gary.
Chris versuchte, die Tränen zurückzudrängen, und schluchzte: »Ich habe eine Woche gebraucht, um es fertigzustellen. Warum haben Sie es zerstört?«
»Es war nicht fertig, Chris. Kunst ist nie fertig. Kunst ist ein Prozess, eine Reise. Deine Skulptur war wunderschön, aber sie war nicht fertig, sie wäre nie fertig gewesen. Leute, Leute, bitte hört mir genau zu. Ich habe jedem von euch die gleiche Aufgabe gegeben und jeder von euch hat
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