Vintermørket
getrieben?“
In Skorlans Stimme schwang ein leiser Vorwurf mit. Verdenken konnte ich es ihm nicht. Ja, was hatte ich eigentlich so Wichtiges getan? Im Prinzip nichts. Ich hatte nur ein psychisches Leiden … aufgrund der Veränderungen, die eingetreten waren.
„Die Zeit … hat gegen mich gespielt, Skor.“
„Und was heißt das?“
„Mir ging es nicht gut. Die Arbeit und der Stress haben mich gebeutelt. Außerdem …“
Außerdem hatte mich das Fernweh beinahe umgebracht, vollendete ich gedanklich den Satz. Ich konnte ihm schlecht erzählen, dass ich die Sehnsucht hatte bekämpfen wollen, indem ich den Kontakt auf Eis legte. Letztlich hatte es nicht viel gebracht.
Ich hätte dem alten Freund gerne alles erzählt, aber ich tat schwer daran, es zu versuchen. Über Gefühle sprach ich selten.
„Ist schon okay, Lex. Wir sind dir deswegen nicht böse. Allerdings ist Thore sauer auf dich. Bei ihm wird eine einfache Entschuldigung nicht ausreichen.“
Ich konnte mir gut vorstellen, wie Skor verschmitzt grinste. Das tat er immer. Er war ein lebensfroher Mensch, lachte sehr gerne. Allerdings löste der Name in mir etwas aus. Etwas Dunkles, das in mir lauerte. Ich verdrängte es, schluckte stattdessen trocken.
„Wie wäre es, wenn ich das persönlich mit ihm kläre?“, meinte ich rau, fuhr mit der Hand in den Nacken, rieb die verspannten Muskeln.
„Er will nicht ans Telefon. Der Kerl hockt mit verschränkten Armen auf dem Sofa und starrt grimmig nach draußen. Ich denke nicht, dass du viel erreichen wirst.“
„Skor, so habe ich das nicht gemeint. Ich habe mir eher etwas in die Richtung vorgestellt, dass ich ihm gegenübersitze. Dass ich dich und deine Familie wiedersehe.“
Innerlich war ich zum Zerreißen gespannt. Es war nicht meine Art, dass ich mich bei anderen selbst einlud, aber ich hatte sie schon so oft vertröstet, dass sie es irgendwann aufgegeben hatten, mir den Vorschlag zu unterbreiten, dass ich sie besuchen kommen sollte. Nur war es jetzt die Frage, ob sie immer noch bereit waren, mich aufzunehmen. Ich hoffte es so sehr, dass mir die Kehle eng wurde.
„Du meinst …“
„Ja“, unterbrach ich ihn, bevor er es laut aussprechen konnte.
„Das ist ja … Lex, nach fünf Jahren willst du es endlich tun? Ich kann es nicht glauben.“
„War das jetzt ein Ja oder Nein?“, krächzte ich in den Hörer und glaubte, dass mein Herz aus der Brust springen würde. Am anderen Ende ertönte ein befreites Lachen.
„Was glaubst du denn? Natürlich kannst du kommen, wir warten schon lange darauf. Wann möchtest du uns besuchen?“
Ich atmete einmal tief ein, schloss die Augen und war furchtbar erleichtert, dass Skor zusagte. Egal wie die Verhältnisse vorher waren. Nach sechs Monaten hätte er das gewiss nicht tun müssen. Die Familie war mir nie egal gewesen. Einmal pro Tag hatte ich mindestens an sie gedacht. Doch zur damaligen Zeit war verdrängen manchmal besser gewesen.
„Vielleicht über Weihnachten. Vorausgesetzt ihr habt nichts Anderes vor.“
„Haben wir nicht. Außerdem bist du jederzeit willkommen. Das weißt du hoffentlich. Sag mir einfach Bescheid, wann ich dich vom Flughafen abholen soll. Ich freue mich, Lex. Ist wirklich schön.“
Ich lächelte schwach, verspürte freudige Erwartung. Endlich würde ich Skorlan, Sorcha, seine Frau und ihre vier gemeinsamen Kinder, wiedersehen. Auch Rex, den ich wahnsinnig vermisste. Ich hätte ihn damals gerne zu mir genommen. Aber Huskys waren Rudeltiere, brauchten viel Auslauf.
Ich hatte Rex nicht von den anderen trennen wollen. Zudem kam hinzu, dass es mir meine Eltern sowieso verboten hatten. Als ich mit Dreiundzwanzig eine eigene Wohnung besaß, fehlte mir die Zeit, um mich neben der Arbeit noch um ein Tier zu kümmern. Vor allem, weil Rex viel Aufmerksamkeit bedurft hätte.
So hatte ich beschlossen, dass immer ein Teil von mir oben in Norwegen bliebe, auch wenn ich nicht da war. Ich wusste, dass es Rex dort oben gutging. Dass er trotz allem immer noch mein Hund war, mit dem ich aufgewachsen war, der mich Jahre begleitet hatte. Außerdem war er die Verbindung zu Thore, der dieses Tier genauso sehr liebte, wie ich.
Ein merkwürdiges Gefühl beschlich mich, als ich an den Mann dachte, der, seitdem ich damals die Familie kennengelernt hatte, ein guter Freund für mich gewesen war. Er war zwei Jahre älter als ich, doch wir hatten uns immer gut
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