Violas bewegtes Leben
Ärger.«
Wir stehen unter den Bäumen vor dem Geier-Kirshenbaum-Bau und schauen uns an. Der Wind weht Schnee von den Ästen. Die Flocken treffen mich im Gesicht und brennen. Jared wischt mir den Schnee schnell mit dem Handschuh von der Wange und schaut mich dann lange an. Wenn wir alleine sind und nichts sagen und uns einfach nur anschauen – das finde ich von all den Dingen, die mir daran gefallen, einen Freund zu haben, am besten. Und glaubt mir, die Liste ist ganz schön lang. Suzanne sagt, jeder Mensch mag es, bewundert zu werden, und ich gehöre ganz sicher auch dazu.
»Bereit für die Bescherung?«, fragt Jared.
»Na klar.«
Jared und ich hatten schon länger vor, uns vor Weihnachtennoch mal zu sehen. Es war nicht einfach, mit den Abschlussklausuren und den vielen Schulaktivitäten vor den Ferien, aber wir haben es tatsächlich geschafft, weil er dafür gesorgt hat.
Jeder von uns zieht etwas aus seinem Rucksack.
»Du zuerst«, sagt er zu mir. Ich öffne das dünne, eckige Päckchen in meiner Hand. Es ist eine schwarz-weiße Filmklappe mit einer Schachtel Kreide dazu. Das Geschenk ist so perfekt und so persönlich und zeigt so viel Verständnis für meinen großen Traum, dass ich meine Begeisterung kein bisschen spielen muss. Jared Spencer denkt einfach an alles.
»Es ist toll. Danke!« Ich schlinge die Arme um ihn und drücke ihn ganz fest.
Dann öffnet er mein Päckchen.
»Super. Das kann ich echt gut gebrauchen«, sagt er und schaut auf die zwei CDs mit der neuesten Version meines Filmbearbeitungsprogramms. »Ich kann es kaum erwarten, es auszuprobieren.«
»Es hat sämtliche Extras. Du kannst Untertitel und sogar Rolltitel damit machen.«
»Echt?«
»Ja. Ich kann dir zeigen, wie es geht. Nach Weihnachten.«
»Cool«, sagt er.
»He, Jared?« Jareds Fahrer, ein GSA-Schüler aus der Oberstufe namens Paul, winkt vom Parkplatz herüber. »Wir müssen, Mann«, sagt er.
»Ich muss los«, sagt Jared.
»Ich hab’s gehört«, sage ich und lächle.
»Tut mir leid.« Und dann beugt sich Jared Spencer zu mir herab und küsst mich zart und sanft und einfach perfekt. »Frohe Weihnachten«, sagt er. »Die Ferien sind ganz schnell vorbei.«
»Frohe Weihnachten.«
Eine Party, ein Vortrag, ein Spaziergang, fünf Küsse, ein Keks, ein Buch und eine absolut geniale Filmklappe für meinen Filmdreh. Ich schaue Jared hinterher, während der Wind noch mehr Schnee in mein Gesicht weht. Aber diesmal brennt nicht der Schnee auf meinen Wangen, es sind meine Tränen. Und ich weine nicht wegen Jared Spencer – na gut, zum Teil schon, ich mag ihn wirklich sehr –, ich weine, weil meine Weihnachtsstimmung und meine Hoffnung auf ein perfektes Fest immer mehr schwinden.
Während ich zum Curley-Kerner-Bau zurückgehe, denke ich an die vielen guten Dinge, die ich erlebt habe, seit ich auf der Prefect Academy bin: Ich habe gute Freundinnen gefunden, spannenden und interessanten Unterricht erlebt, und ich plane meinen ersten Film. Ich habe Jared kennengelernt. Das sind viele gute Dinge, für die ich dankbar sein sollte. Warum fühle ich mich nur so alleingelassen? Meine Eltern haben mich hierher geschickt wegen des guten Unterrichts und damit ich neue Erfahrungen sammeln kann. Das konnte ich akzeptieren, solange ich nur an Weihnachten hätte nach Hause fahren können. Ich frage mich, ob ich je wieder zurück nach New York kommen werde. Brooklyn kommt mir viele Millionen Kilometer weit entfernt vor.
»Wo ist meine Kleine?« Ich höre Grands donnernde Stimme in der Eingangshalle des Curley-Kerner-Baus. Die laute, tiefe und klare Stimme meiner Großmutter ist eindeutig ihr Markenzeichen – als Schauspielerin und als Mensch. Mit einer solchen Stimme lässt sich eine Halle voller Menschen mit einem wohlplatzierten »Feuer« in Sekundenschnelle räumen.
»Ich komme!«, rufe ich die Treppe hinunter. Ich freue mich, dass sie hier ist. Die drei Tage mit Marisol und den sechs anderen Schülerinnen, die in den Ferien nicht nach Hause konnten, waren ziemlich langweilig. Ich habe an meinem Drehbuch geschrieben, und wenn ich eine Pause brauchte, habe ich mich zu den anderen Mädchen gesellt. Wir haben DVDs angeschaut, herumgegammelt oder sind mit Mrs. Zidar im Kleinbus der Schule zum Einkaufszentrum gefahren. Für wen soll ich denn hier was kaufen?, habe ich mich immer gefragt, wenn wir in den Bus stiegen. Aber dann habe ich für Grand ein Paar Lederhandschuhe gefunden (bei der bitteren Kälte hier wird sie die brauchen) und
Weitere Kostenlose Bücher