Violas bewegtes Leben
eine schicke Thermoskanne für ihre Garderobe, wenn die Proben wieder losgehen.
Grand steht in der Mitte des Foyers und hat die Hände in die Hüften gestemmt. Sie trägt eine schwarze Pelzmütze und einen weißen gesteppten Daunenmantel, der bis zu ihren Knöcheln reicht. »Da bist du ja!« Sie strahlt mich breit und liebevoll an. Es ist das gleiche Lächeln wie bei meiner Mutter.
Ich springe die Stufen hinunter in ihre Arme. »Gott sei Dank bist du da.«
»Ich würde nirgendwo sonst sein wollen!«, sagt sie.
Sie umarmt mich ganz lange, und ich lasse sie gewähren. Eine ordentliche Umarmung von einem Familienmitglied kann ich gut gebrauchen. Grand riecht nach Orangen und Creme, und ihre Haut ist ganz weich. Sie ermahnt meine Mutter immer wieder, sich mehr um ihre Haut zu kümmern, aber Mom hat einfach nicht die Zeit, tagtäglich intensive Schönheitspflege zu betreiben. Die Eingangstür wird aufgestoßen. Ein großer, gut aussehender Mann kommt herein, die Hände voller Koffer, und stellt das Gepäck ab.
»Darf ich dir George vorstellen?«, sagt Grand mit großer Geste.
»Hi, George.«
»Hallo, Viola. Ich habe schon viel von dir gehört.« Er hat ein extrem weißes, extrem strahlendes Lächeln, wie aus einer Zahnpastawerbung.
»Das kann ich von Ihnen nicht behaupten, George«, antworte ich wahrheitsgemäß.
Er und Grand brechen in Gelächter aus. »Ich sagte dir doch, sie hat Humor«, sagt Grand zu ihm.
»George und ich sind Freunde«, sagt Grand. Das Wort Freunde spricht sie mit einer zwei Oktaven tieferen Stimme, als wäre es ein großes Geheimnis.
»Ich bin verrückt nach deiner Großmutter«, sagt er.
»Findest du nicht, dass er aussieht wie Cary Grant?«, fragt sie. »Du weißt schon, so elegant und weltmännisch?«
»Viola weiß bestimmt nicht, wer Cary Grant ist«, sagt George.
»Papperlapapp! Ich habe ihr alles beigebracht, was es über Screwball-Komödien zu wissen gibt, stimmt’s, Viola?«
»Ja. Meine Lieblingskomödie ist Die schreckliche Wahrheit mit Cary Grant und Irene Dunne, und Sie sehen ihm wirklich ähnlich.«
»Tja, ich hätte auch nichts gegen seine Filmkarriere«, sagt George, ohne auch nur ein bisschen neidisch zu klingen.
Meine Großmutter (die gute Nachricht) ist für die Weihnachtsferien gekommen, aber sie hat ihren Freund (hä?) mitgebracht. Und dieser Mann ist höchstens so alt wie meine Mutter, irgendwo in den Vierzigern, schätze ich, weil er graue Haare an den Schläfen hat. Oder er ist schon in den Fünzigern und hat sich liften lassen, keine Ahnung. Wie auch immer, erist um einiges jünger als meine Großmutter, die zufällig genau vierundsechzig ist. Aber sie sieht nicht wie vierundsechzig aus. Sie hat lange blonde Haare und eine gute Figur, und sie trägt ein sehr gutes Make-up, was sie sehr gesund aussehen lässt. In Theaterkritiken wird Grand gerne als gertenschlank bezeichnet, schon seit ihrer Jugend und bis heute.
»Mach schon, Viola. Erzähl George, was du über Screwball-Komödien weißt.« Grand nimmt die Pelzmütze ab und schüttelt den Kopf. Ihre blonden Haare fallen auf ihre Schultern.
»Schon gut. Entschuldige. Ich würde mich gerne auf die Filme konzentrieren, die zwischen 1933 und 1943 in Hollywood gedreht wurden«, sage ich zu ihm.
»Und welche?« Damit tritt Grand zurück und überlässt mir die Bühne.
»Also … ich mag vor allem Filme über junge Erbinnen auf der Flucht. Drei meiner Lieblingsfilme sind Es geschah in einer Nacht , Enthüllung um Mitternacht und Mein Mann Gottfried . Vor allem der letzte hatte eine besondere sozialpolitische Bedeutung, weil er während der Großen Depression herauskam und das Thema der Obdachlosigkeit in Gestalt der »vergessenen Männer« aufgriff, im Film dargestellt von William Powell. Also, wenn wir von Cary Grant sprechen, da gibt es den bereits erwähnten Die schreckliche Wahrheit und Leoparden küsst man nicht , wo er die Form der Slapstickkomödie nutzt, um sein inneres Gefühlswirrwarr auszudrücken. Sie sehen ihm wirklich ähnlich, George, aber ich finde, Sie ähneln noch mehr Rock Hudson in Bettgeflüster .«
»Nun, im Hinblick auf das Komödiengenre ist dieser Film aber auch nicht zu verachten«, wirft Grand ein.
»Er war sehr gut«, sage ich zu ihnen. »Aber Bettgeflüster kamerst 1959 heraus und passt deshalb nicht in meine Screwball-Liste. Also, George, sind Sie wirklich Schauspieler?«
»Nur ein kleiner Komparse, Viola.« George lächelt mich an. Es ist schwer, ihn nicht zu mögen.
»Liebling
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