Violett ist erst der Anfang
hast du verschwiegen? »Sekunde. Ihr wohnt hier zu …«
»Zu zweit. Gehört alles Tanja.«
Und die studiert Messie-ologie, verstehe. Die Garderobe bog sich unter Jackenbergen, Schuhe pflasterten den Boden bis zum Mountainbike, das an einem Fitnessrad, einem Holzkohlegrill und einem kaputten Lattenrost lehnte. Blumentöpfe und Pfandflaschen türmten sich in Klappkörben neben wackeligen Altpapierhaufen aus Pizzakartons und gestapelten Getränkekisten. An den Wänden lappten Poster von zerzausten Punkbands, Gratis-Postkarten und Partyfotos nahtlos aneinander.
»Fies voll, ich weiß.« Ewa warf ihr einen entschuldigenden Blick zu.
»Ey, kein Problem. Hab schon Schlimmeres gesehen.« Weiß zwar spontan nicht was, aber … was soll’s. Im Storchschritt folgte Jule zur ersten Tür links.
»Und hier hause ich.« Frau B. drückte die Klinke, erstarrte, und fegte im nächsten Moment wie ein Wirbelwind durch den kleinen Raum, um verstreute Klamotten einzusammeln.
Innerlich machte Jule dankbar Kreuzzeichen. Ein Chaoskind, die Bogacz, aber kein Dreckspatz. Soweit der erste Eindruck. Hier passte nichts zusammen. Vor dem einzigen Fenster hing nüchtern ein Lamellenvorhang. Neben dem wuchtigen Spiegelschrank stand ein rustikaler Schaukelstuhl aus Rattan, und das schnörkellose Metallbett flankierten auf der einen Seite ein verbeulter Rollcontainer in Rot, auf der anderen eine schneeweiße Holzkommode. Tja. Geschmackvoll? Nein. Aber irgendwie gemütlich. Konnte auch an den Pflanzen in allen nur erdenklichen Winkeln liegen. Eine grüne Oase aus unterschiedlichen Palmen, Ficus-Frag-mich-nicht und Wedel-Was-weiß-ich, wucherndes Blätterzeug war so gar nicht Jules Fachgebiet.
Kaum hatte Ewa das letzte verirrte Kleidungsstück auf einen Haufen geschmissen, sah sie Jule an. »Willst du was essen? Oder trinken? Ich hätte zum Beispiel …«
Sag nicht Schubrrr-Schädelspalter oder ich renne schreiend davon, Bogacz. »Mir egal. Hauptsache kein Getränk aus Polen.«
»Wie soll ich das jetzt verstehen?« Ewa verschränkte die Arme.
Themawechsel war angesagt. »Schicke Bettwäsche.« Jule nahm Platz auf dem Blümchenstoff und huch, worauf war sie denn da noch gelandet? »Ui, willst du uns beide nicht vorstellen?« Amüsiert betrachtete sie den abgewetzten Plüschteddy.
»Das ist … das ist …« Ewas Kopf glühte los. »Also, das ist … Mister Bommel.«
»Mister Bommel?« Boar, Bogacz, ich lach mich scheckig!
»Ja, na ja, weil der eigentlich immer drei so bunte Bommeln auf seiner Jacke hatte, also auf seinem Bauch, die inzwischen … Ach, verdammt, gib ihn schon her.« Peinlich berührt riss Frau B. ihr das Kuscheltier aus der Hand und versteckte es unter einem der Klamottenberge.
Jule winkte ihm nach. »Schlaf gut, Mister Bommel.«
»Willst du was trinken oder nicht?«, kam gereizt von Ewa.
Gecheckt. Keine humorvollen Bemerkungen mehr über Plüschtiere und kein Kommentar zu Polen. Sie hatten schließlich wichtigere Themen. Hurgx, ziemlich wichtige Themen sogar. Jule spielte an ihrer Halskette. Auch Ewa schien der Ernst der Lage wieder in den Sinn zu kommen. Zögernd setzte sie sich neben Jule und kaute an ihrem Daumen. Tja. Wer wagte den Anfang?
»Sag mal …«, unterbrach Ewa die Stille. »Hast du dich je in eine Frau verliebt?«
»Ich? Nein. Warum? Wozu? Du?« Jule schaute zu Ewa. Die schüttelte den Kopf. »Echt? Auch nicht ein bi-bisschen zweigleisig unterwegs?«
»Nein.«
»Oh.« Jule fixierte eine Topfpflanze. »Aber du hast kurze Haare, Ewa.«
»Doch nur für die Rolle. Davor hatte ich ein Bob.«
»Oh. Trotzdem, du trägst Turnschuhe.«
»Na und? Die sind bequem.«
»Spielst du Fußball?«
»Wowhow, stopp, Jule.« Ewa hob die Arme. »Was wird das hier? Willst du mich zur Lesbe machen?«
»Du hast mich geküsst, Fräulein.«
»Dir hat der Kuss gefallen. Gänsehaut, schon vergessen?«
»Aber ich tanze Ballett, seit ich vier bin.«
»Eiskunstlauf, drei Jahre im Verein, und ich hatte Talent. Außerdem kann ich reiten, Jule.«
»Warum schminkst du dich dann nie?«
»Weil mich dieses Rumgekleister und Getusche nervt jeden Morgen. In der Maske striegeln sie uns ohnehin neu. Aber hier, guck, meine Augenbrauen. Frisch gezupft und zwar von mir persönlich. Beweis genug?«
»Beweis wofür?«
»Ja, keine Ahnung!« Ewa schnaufte. »Du hast doch mit dem Mädchenmist angefangen, nicht ich.«
Jule stöhnte auf. »So kommen wir nicht weiter.«
Das sah Frau B. anscheinend genauso. Aus der obersten Schublade des
Weitere Kostenlose Bücher