Violett ist erst der Anfang
roten Rollcontainers kramte sie eine Prinzenrolle und riss sie auf. »Keks?«
Jule schüttelte den Kopf und beobachtete ihre Kollegin, die gleich vier Schokodoppeldecker nacheinander in sich reinknusperte. Sensationell, denn offenbar schlug ihr das Zuckerzeug nicht nur auf die Hüfte, sondern auch aufs Hirn. Wie ausgewechselt strahlte Ewa auf einmal, kehrte zu Jule zurück und ergriff ihre Hand.
»Okay, pass auf, ich sehe das wie folgt«, legte sie los. »Du bist attraktiv.«
»Äh … danke?«
»Bitte. Kein Witz, ich meine das wirklich so. Granate. Nicht nur äußerlich, deine durchtrainierte Figur und deine blauen Augen, dein niedliches Grübchen da, das ist alles schick, aber auch der Rest. Wie du singst – mega. Wie du lachst – voll sympathisch, und ich drehe am liebsten mit dir.«
»Also hast du dich doch in mich verknallt, Ewa?«
»Keine Ahnung, ehrlich.« Sie seufzte. »Mit den Jungs lief das immer automatisch, ohne Blabla, verknallt oder nicht, egal, und … verdammt, ich würde so gerne die Klappe halten und dich küssen, Jule.«
»Dann tu’s doch, Herrgott!«
Zu Befehl. Ewa rückte heran und hach, knutschen, das konnte sie einfach. Jule schwebte und genoss, driftete ab, wohin auch immer, aber schön war es dort. Wahnsinnig schön. Mal kichernd, mal keuchend steckten sie die Köpfe zusammen, und züngelten sich schier um den Verstand. Der war ohnehin raus. Welche Erklärung mochte es schon geben für das, was da gerade zwischen ihnen beiden passierte? Irgendwann, in einer Atempause, als sie Stirn an Stirn kuschelten und Händchen hielten …
»Jule«, flüsterte Ewa. »Und wenn wir das ausprobieren?«
»Wie, welches das?«
»Das … mit uns. Was auch immer es ist.«
»Du meinst, ganz unverbindlich? Nur so irgendwie probehalber dings, damit wir rausfinden können, ob uns das … irgendwie … überhaupt ge-gefällt?«
»Genau.« Ewa strahlte übers ganze Gesicht. »Klingt vernünftig, finde ich. Oder hast du einen besseren Vorschlag?«
»Ganz spontan, äh, nicht. Nein.«
»Super. Dann sind wir hiermit vorrübergehend bi.«
»Auf gar keinen Fall!«, protestierte Jule.
»Wieso? Es heißt doch immer: Ein bisschen bi schadet …«
»Nie, blabla, spricht die Silikon-Barbie und lutscht kurz an einer aufgedonnerten Miss Mai, um danach irgendeinen aufgegeilten Bodybuilder abzuschleppen. Ja bäh. Noch nie erlebt in einem Club?«
»Äh … nein?«
»Sei froh, Ewa, sei froh.«
»Aber wenn nicht bi, was dann?«
Jule legte die Stirn in Falten. »Wir sind … tja. Wir sind dann irgendwie … hm. Wir sind …«
»Hetero, bi, homo, Ende Gelände. Mehr gibt es nicht.«
»Ewa, das mit uns, das ist ein Sonderfall.«
»Absolut.« Frau B. nickte. »Okay, dann sind wir … äh … sorry, für unsere Situation existiert kein Wort.«
»Wir sind einfach … wir …« Zack, kam Jule ein Geistesblitz. »Wir sind Violett.«
»Jule, das ist keine sexuelle Orientierung.«
»Ab jetzt schon. Denk an Viola und Babett, Violett, denk an die Farbe. Das ist doch auch alles und nix. Irgendwie lila, vielleicht sogar pink, rot mit blau drin, irgendwie dings, keine Ahnung. Violett ist eine Grauzone.«
»Verstehe. Violett, zwei Frauen im Ausnahmezustand. Passt perfekt.« Vergnügte schmatzte Ewa ihr ein Küsschen auf die Stirn und knuffte ihr in die Seite. »Bleibst du heute Nacht hier?«
»Bitte?« Jule fuhr sich durchs Haar. »Dein Ernst?«
»Na sicher.«
»Aber … hast du denn gar keine … Angst?«
»Wovor? Vor dir?« Ewa grinste. »Nö. Du bist höchstens paar Zentimeter größer. Das schüchtert mich nicht ein.«
»Trotzdem, ich …«, stammelte Jule. »Ich … also … puh, gerade bekomme ich richtig Schiss, Fräulein. Geht das nicht viel zu schnell? Wir beide … gleich …«
Da umschloss Ewa ihre Hand. »Grauzone, Jule. Violett. Wir packen das jetzt an, okay? Sonst kapieren wir doch nie, was Sache ist. Außerdem ist mein Bett breit genug, keine Panik, und ehrlich gesagt, ich würde mich freuen, wenn du bleibst. Sehr sogar.«
Der schimmernde Blick fiel deutlich ins Teddy-Schema, oder unter Welpen-Charme, Bambi-Bonus, jaul, der bohrte sich geradewegs ins Herz. Die Bogacz wollte man gerne haben. Und knuffeln und knuddeln und knutschen und … hach, diese Lippen. Jule knabberte sich mal wieder daran fest, wuschelte durch blonde Fransen, inhalierte Ewa-Meer-Duft und … uff. Überzeugt. Jule seufzte. »Deal. Nur hab ich leider so gar nichts mit.«
»Kein Problem. Kriegen wir hin.« Ewa sprang auf, stellte
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