Violett ist erst der Anfang
Alicja ruhig. »Alles andere wäre ja auch tragisch. Du hast wirklich unglaublich schöne Beine. Trotzdem. Vor ein paar Minuten wolltest du gehen.«
Jule setzte an zur Verteidigung, jedoch erstickte eine erhobene Hand alle Worte im Keim. Alicjas bohrender Blick brachte sie gewaltig ins Schwitzen.
»Lass es mich abkürzen«, sagte sie. »Dort ist die Tür.«
Hitzewallung, die nächste, und Jule wischte sich über die Stirn. Scherz jetzt, oder? Erst den überschäumenden Gastgeber vortäuschen und nun folgte der subtile Rausschmiss? Im schimmernden Türkis von Alicjas Augen suchte Jule angestrengt nach Subtext. Tja. Fehlanzeige. Blieb nur die Flucht nach vorne. »Und … was bedeutet das?«
»Dort ist die Tür«, wiederholte Alicja.
»Aha.« Jule rückte an ihrer Brille. Bei allem Respekt, ey, der Schatten dieser Frau reichte mindestens von hier bis Warschau. Ein Blick zu Spongebob, der grillte, ein Blick zu Winnie Puuh, der tanzte noch immer so beschissen gut gelaunt, was eine Provokation, und Jules Rechte ballte sich zur Faust, während der Schubrrr jeden klaren Gedanken niedernagte wie ein ausgehungerter Biber den Wald. »Aha. Und was heißt das?«
»Dort ist die Tür.«
»Himmelarschundzwirn, ich bin nicht blind!«, brüllte Jule, alles flirrte vor ihren Augen, als sie aufsprang und Alicja wütend anfunkelte. »Und jetzt pass mal auf, du Pseudofreundin. Du wirfst mich nicht raus, ich gehe nirgendwohin, ich bleibe hier, hier bei Ewa, ob es dir gefällt oder nicht! Denn wir sind zusammen, wir sind ein Paar, und wir kriegen das irgendwie schon hin! Und du, du bestimmst hier gar nichts, weil das unsere Beziehung ist, unsere, und wir ziehen das jetzt durch, aber so was von, ich zieh das durch, weil es mich verdammt nochmal erwischt hat und ich verschossen bin bis obenhin und ich das will und ich …«
»Ich auch«, war da auf einmal Ewas leise Stimme, eine Hand auf ihrer Hand, und Jule drehte den Kopf zu ihr. »Ich bin auch verliebt. Ich bin so was von verliebt in dich, das glaubst du gar nicht, Jule.«
Ewa … Ihr Blick schimmerte feucht. Eine Träne kullerte aus ihrem Augenwinkel, Jule streckte die Hand aus und stoppte sie mit ihrem Finger. Ein Lächeln huschte über Ewas Gesicht, Grundgütiger, was für ein süßes Lächeln, und Jules Herz wummerte wie wild. Sie sahen sich an, erst scheu, verlegen, dann mutig, übermütig, sie grinsten breit und restlos verknallt. Kaum saß Jule wieder auf der Bank, näherten sich ihre Köpfe. Ein Kuss, ganz vorsichtig und sanft, und schon schlangen sie die Arme umeinander und knutschten sich aus Raum und Zeit. Unglaublich. Verliebt. Wahnsinnig verliebt. Streichelnde Hände glitten durch Jules Haar, und es fühlte sich gut an, einfach gut in Ewas Nähe zu sein. Ewa, die in ihr Leben rauschte wie ein Orkan und Gefühle weckte, die Jule viel zu lange nicht mehr gespürt hatte. Verliebt. Wahnsinnig verliebt. Kein Spiel, kein halbherziges Experiment. Hier ging es um etwas. Um eine Rolle in Ewas Leben, um einen Platz in Ewas Herz und ja, verdammt, Jule wollte den, da irgendwie rein, denn ja, sie war verliebt. Wahnsinnig verliebt. Ihre Augen schlugen Leck. Als sich ihre Lippen lösten, wischte Ewa ihr die feuchten Spuren von den Wangen und strahlte sie mit warmen Knopfaugen an.
»Taschentuch?« Piotr hielt Jule ein Päckchen hin.
»Da-Danke.« Sie nahm es, putzte sich verlegen die Nase und polierte noch flott ihre Brille. Alicja warf ihrem Herzbuben den entscheidenden Blick zu, schon waren die Gläser wieder voll und klirr, schlürf, strahl – Runde sechs.
»Na bitte. Geht doch«, sagte Alicja und breitete die Arme aus. »Willkommen in der Familie, Jule.«
Gerührt schmiss sich Jule ihr entgegen, gab ihr ein Küsschen links, ein Küsschen rechts, und startete noch mal von vorne.
Der blanke Wahnsinn. Und sofort wurde die nächste Flasche Wodka geöffnet, und Jule ließ sich einfach treiben. Irgendwann hing sie an einem lachenden Piotr auf der Eckbank, und tsch-brabbel-ätschte irgendwie polnische Kosenamen nach, die er ihr mit einer Engelsgeduld immer wieder vorsagte. Irgendwann drehte sie Käpt’n Blaubär Topflappen in ihren Fingern und fand die super, was Alicja immens zu freuen schien. Sie wiegten sich im Arm und bombardierten sich mit Komplimenten.
»Alischija, du bischt scho unfaschbar klug.«
»Jule, für deine Figur würde ich töten.«
Irgendwann zettelte Jule eine Polonaise durch die Küche an, oder womöglich Sirtaki, wurscht, sie lachten und schunkelten da
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