Violett ist erst der Anfang
Fuß über die Reeperbahn. Trotzdem zog sich die Strecke. Am schweren Gepäck lag es nicht. Der ominöse Karton für Alicja passte problemlos neben das Headset in Jules Handtasche. Auch die Massageöle in neun verschiedenen Duftnoten, und obendrein als Andenken Plüschhandschellen in violett. Ewas Dessous? Die trug Jule stolz in einer Tüte unter ihrem Pulli. Wirkte irgendwie trächtig, egal, ihre Hände brauchte sie für Ewa. Himmel, was waren sie beide albern. Mal spielten sie Verfangen und wickelten sich knutschend um irgendwelche Laternenpfähle, mal versuchten sie Bocksprünge über rote Mülleimer. Mal traten sie Bierdosen scheppernd um die Wette, mal performten sie einträchtig tänzelnd den Kinderklassiker: Ein Hut, ein Stock, ein Regenschirm. Dazwischen sahen sie sich einfach nur an, einander ganz tief in die strahlenden Augen, lächelten verschossen und schlossen ihre Finger ineinander. Es war irre. Irre gut.
»Ey, zieht Leine«, zischte da jemand, als sie gerade wieder ein Knutschpäuschen einlegten, ganz romantisch an die nächstbeste Hauswand gepresst.
Verwirrt sah Jule sich um. »Ist das Privatgrund?«
»Ne, Schätzchen. Der Kiez. Und hier stehe ich«, sagte die sommersprossige Blondine mit beeindruckend schmal gezupften Augenbrauen im mattierten Gesicht, zog ihren Pferdeschwanz stramm und kramte einen Kaugummi aus ihrer Bauchtasche.
Krass. So ein Ding hat Mama auch. Sind die nicht megaout? Jule verschränkte die Arme. »Aha. Verstehe. Sie pampen uns auf einer öffentlichen Straße unbegründet an. Haben Sie etwas gegen Frauen? Sind Sie homo-homo-äh, Süße, wie heißt noch das Antiwort?«
Ewa lächelte. »Homophob.«
»Danke, Süße.«
»Gerne. Soll ich es dir auf Polnisch auch beibringen?«
Jule winkte ab. »Lieber was Griffiges. So für den Alltag.«
»Hej? Das wäre Hi. Für Hallo nimmst du Cześć oder Witaj.«
»Süße, und für Mist? Scheiße?«
»Kurwa.«
»Geil!« Scheiße. Kur-wa, kurzer Wahnsinn. Das behalt ich. Jule schloss die Augen, konzentrierte sich und Premiere, donnerte sie ihr erstes, schmissiges »Kurwa« in die Welt, auf dem Kiez in Richtung Blondine. Wie befreiend.
»Spinnst du?« Ewa riss die Augen auf.
»Wieso? Falsch betont?«
»Ne, perfekt. Aber so als direkte Anrede wäre Kurwa weniger nett. Hure und Schlampe, heißt das dann.«
»Oh.« Jule schluckte. Himmel, seid ihr kompliziert. Besser kein Polnisch. Knutschen. Hach, das konnten sie einfach.
Ein Stöhnen. »Abflug, Mädels. Aber zackig!«
»Herrgott!« Jule fuhr herum. »Warum sind Sie denn so unentspannt?«
Die Blondine hüpfte eine Runde lockernd auf ihren wuchtigen Buffalos in Weiß. »Ich arbeite.«
»Wissen Sie was? Mich nervt mein Job auch manchmal. Und unser Samstag war weitestgehend beschissen.« Jule kochte. »Wir hängen hier in Hamburg fest wegen ein paar Polen. Ich wurde vollgenebelt mit Pfefferspray, nun ist unser Auto futsch, und wir …«
»Unsere Freunde aus dem Osten. Wem sagst du das?« Die Blondine seufzte wissend. »Wenn ihr einen Platz zum Pennen braucht, fragt Dieter. Schwer in Ordnung. Faire Preise. Sagt Danielle schickt euch, dann geht er noch mal runter. Er kennt mich. Ihr könnt seinen Laden gar nicht verfehlen. Lunas Lustoase. «
»Weiß Bescheid.« Jule gab sich alle Mühe, die Erinnerung an Rülps-Ronny zu verdrängen. »Da stand ich gestern.«
»Tatsächlich?« Danielle wirkte überrascht und musterte Jule immerzu von oben bis unten, fixierte schließlich ihren Bauch.
Ey, komm mir nicht mit Glückwünschen. Ich bin tütenträchtig. Egal. »Weißt du, Danielle, gestern war einfach nicht mein Tag. Die Nummer vor der Oase, ey, Bockmist. Ein Typ, voll bis zum Kinn, dem sollte ich einen blas-äh, also, wie auch immer.«
»Schätzchen, tröste dich. Manchmal läuft es nicht. Wundert mich bei dir. Deine Figur ist top, Ausstrahlung auch.«
»Oh, äh, dankeschön.« Erfreutes Grübchenlächeln.
»Ich mag deine Brille.«
»Ach«, kam verblüfft von Jule. »Kein Witz?«
»Hat was. Lass mich raten: Spielst du die Lehrerin?«
»Praktikantin. Babett.«
Danielle nickte. »Die Lewinski-Masche. Strapse unterm Kostüm?«
»Ne, eher bunt. Leggins in pink und so. Muss mich jünger machen. Sonst nimmt mir die Rolle niemand ab.«
»Schon klar.« Danielle zwinkerte. »Und? Läuft gut?«
Jule seufzte. »Wie man es nimmt. Regulär unter der Woche geht nicht viel. Aber im Internet gibt es immer mehr Fans, die …«
»Du hast eine eigene Website?«
»Sicher. Heutzutage musst du die
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