Violett ist erst der Anfang
…«
»Schon klar.« Jule lächelte. »Kenn ich doch. Ewa, Herr und Frau Neudecker aus dem wunderschönen Spessart.«
»Schwarzwald.«
Scheiße. »Stimmt. Natürlich.« Grübchenlächeln.
»Freut … mich.« Mit artiger Kinderstube nestelte Ewa ihre Rechte unter der Corsage hervor und gab den Herrschaften die Hand.
Herbert musterte sie eingängig, von oben bis unten und kraulte dabei seinen Walrossbart. »Und Sie sind …«
»Bogacz. Ewa.«
»Ewa mit w? Ungewöhnlich. Ist das Kroatisch?«
»Polnisch.«
»Ach«, kam abgekühlt von Herbert. »Sie sind von drüben.«
»Mehr von oben. Norddeutschland.«
»Aber Sie sind Polin?«
»Privat. Beruflich Schauspielerin. In einer Soap gerade.«
»Dann kennen Sie beide sich also noch gar nicht so lange«, kombinierte Sieglinde messerscharf und brachte Ewa verbal ins Schwimmen. Schweißtechnisch vermutlich auch.
»Jule und ich, wir drehen zusammen. Als Paar. Äh, als Freundinnenpaar. Freundinnen im Sinne von …« Unter den neugierigen Neudecker-Blicken schien Ewa zu schrumpfen. »Violett.« Ups. So konkret hatte es die Bogacz offenbar nicht sagen wollen. Sie riss die Augen auf und schlug sich die Hand vor den Mund.
»Violett?«, wiederholte Sieglinde.
Herbert schnaubte. »Ist das wieder was von drüben?«
»Von welchem drüben? Ach so, Sie meinen, ein Trend aus den USA? Nein.« Ewa schluckte. »Violett ist … äh, eine Farbe. Nicht nur natürlich. Gewissermaßen, äh, ein Begriff. Aus der Praxis. Eine Umschreibung, erweiterte Form für … äh … Ko-Kolleginnen?«
»Aha.« Sieglinde strahlte. »Wie schön.«
»Wie reizend.« Herbert strahlte auch.
»Sehr reizend.« Ewa strahlte mit.
Jule? Die fluchte. Innerlich das Schimpfwörterlexikon auf Polnisch, hätte sie es gekonnt. In welches Theater war sie hier nur wieder reingeraten? Smalltalk mit Schwaben im Sexshop, na besten Dank auch. Immerzu ging Jules Blick zu Ewas Corsage. Rattenscharfes Teil. Und wenn sie ihre Süße nicht bald live darin sah, dann …
»Scheiße«, rutschte es ihr raus, und alle Blicke richteten sich auf sie.
»Frau Schweitzer, geht es Ihnen nicht gut?«
»Im Gegenteil, Frau Neudecker. Es geht mir hervorragend.« Jule holte tief Luft. »Ich bin verliebt, in Ewa, wir sind ein Paar und Violett. Das verhält sich wie lesbisch, nur viel schöner.«
»Jule!« Schockierter Anpfiff.
»Was denn?« Jule pustete sich eine Strähne aus der Stirn. »Ist doch wahr. Was soll denn dieser Zirkus hier? Was ich privat treibe, geht keinen Schwanz was an, Herrgott! Oder was meinen Sie, Herr Neudecker? Soll ich noch irgendwas signieren? Einen Tanga für die Gattin?«
Tja. Offenbar nicht. Herbert enthielt sich seiner Stimme und auch Sieglinde sagte nichts mehr, höchstens, dass es an der Zeit war zu gehen. Sie hatte vermutlich nun doch tierisch Bock auf eine Weinschorle. In Rekordzeit hetzten die Neudeckers aus dem Raum. Verklemmtes Pack. Mich auf der Bühne ansabbern, aber dann kneifen, wenn’s konkret wird. Da gruben sich Finger in ihren Kragen und rums, riss der Zwerg sie in eine Nische.
Ewa starrte sie an. »Kneif mich.«
»Wie jetzt?« Jule rückte an ihrer Brille. »So richtig oder nur ein bisschen in den Arm oder …«
»Ich fasse es nicht.«
»Dass die ohne Autogramm und Gruß abziehen? Pfff. Wie gesagt. Fans sind unberechenbar. Ey, diese Spießer aus dem Spessart.«
»Schwarzwald.«
»Schnurz.« Schwaben.
»Aber du-du …« Ewa wuschelte sich durchs Haar. »Mensch, du hast dich geoutet, Jule. Live! Sogar als l-l-le-les …«
»Lesbisch, Süße«, half Jule ihr auf die Sprünge. »War nicht geplant, ich gebe es zu. Aber Violett hätten die doch nie gecheckt. Die brauchten es mehr Mainstream. Zwei Frauen, ein Paar, lesbisch. Du, ist gar nicht schwer, wenn man es mal gesagt hat.«
Ewa schluckte. »L-le-les…«
»L-e-s-b-i-s-c-h. Nur Mut. Trau dich. Lesbisch, lesbisch, lesbisch. Krass. Kann man richtig gut mit der Zunge betonen. Lesssbisssch. Voll geschmeidig.«
»Dann sind wir jetzt also … lesbisch.«
»Violett.«
»Boar, Jule. Was denn nun?«
»Ganz ehrlich? Mir gerade vollkommen egal.« Lächelnd schlang sie die Arme um Ewa und knutschte sich glückselig an deren Lippen fest. Unfassbar, wie leicht es sich auf einmal anfühlte. Sie wollte Ewa. Kein Versteckspiel vor anderen. Kein Theater, das ihren Kopf permanent auf Trab hielt, sie unsicher und mürbe machte. Nicht denken. Einfach genießen.
KAPITEL 20
Zu Alicjas Wohnung waren es eigentlich nur ein paar hundert Meter zu
Weitere Kostenlose Bücher