Violett ist erst der Anfang
zahl.« Jule frohlockte und stutzte, als ihre Freundin das Teil wortlos wieder an die Stange hängte. Wie, was, wieso? Keine Umkleiden hier? Oder hatte Ewa doch keinen Sinn für Reizwäsche? Ey, wenn ich die gestörten Homos finde, die meine Kleine mit Boxershorts verderben, dann …
Doch da griff Ewa ein paar Ständer weiter, nahm das gleiche Teil, in Körbchengröße …
»Nicht wahr! Gott, ich hasse dich!«
»Komm, deine sind trotzdem perfekt.«
»Fi-Findest du?«
»Absolut. Vertrau mir. Ich hab sie schon mehrfach pur gesehen und angeknabbert. Die sind top.« Ewa knutschte ihr ein Bussi auf die Stirn, erkundigte sich nach den Kabinen bei einer Verkäuferin, die ihr daraufhin eine Tür in einer Nische aufschloss. Schwupp, weg war sie. Jule blieb zurück, noch immer geplättet. Schweitzer, freu dich. A ist Trumpf. Und hey, sie waren ein Paar. Zukünftig gehörte ihnen Ewas gesegnete Oberweite ja irgendwie beiden. Wartend schlenderte Jule umher, lächelnd, beschwingt, zupfte hier ein bisschen, dort ein bisschen. Dann vernahm sie leises Wispern.
»Meinst du wirklich, Sieglinde?«
»Doch Herbert, das ist die. Die aus Wien.«
»Aber mit Brille?«
»Guck dir mal die Grübchen an und die blauen Augen. Heilig’s Blechle, sind die rot. Hat die Schweitzer was genommen?«
Fuck!
Vorsichtig und hoffentlich unbemerkt linste Jule über den Rand ihrer Brille in Richtung der flüsternden Stimmen. Erwischt, erkannt, sie wurde gemustert. Von einem Pärchen um die sechzig, welch ungleiches Gespann. Untersetztes Walross im Anzug samt rot-weiß-gestreifter Krawatte und dürres Griaffenhalsschrapnell mit baumelnden Goldohrringen. Unter seinem Arm klemmte ein Programmheft. Sister Act. Scheiße. Zweifellos mein Klientel. Aber seit wann ging man nach einer Matinee nicht mehr Weinschorle schlürfen, sondern in Sexshops? Und überhaupt: Welches Liebesleben wollten die denn noch retten? Warum hatten die überhaupt eines, jemals gehabt? Schweitzer, du wirst böse. – Mir wurscht. Allein die vage Vorstellung von einem kopulierenden Herbert auf Sieglinde mit Gummimaske, das war … Hurgx. Und jetzt? Weiter ungeniert in den Netzbodys wühlen? Oder mit eingezogener Rübe im Stechschritt raus aus dem Laden? Klang vernünftig. Sehr vernünftig. Aber ohne vorherige Gehirnwäsche kaufte die Boxershort-Bogacz doch niemals die herrlich versaute Corsage. Blöd. Also Flucht nach vorne. »Grüß Gott. Geht’s gut?« Geradezu lässig lehnte sich Jule an die Dekopuppe im Korsett.
»Sind Sie … sind Sie’s wirklich?« Sieglinde kam näher.
»Jule Schweitzer, hallo. Sie kennen mich aus Wien? Hach, das freut mich aber.« Ein gekünsteltes Lachen hinterher, und Jule hätte am liebsten gekotzt. Was ein Krampf.
»Also Sie hätte ich in diesem Laden nicht erwartet. Sie wirken privat immer so … so …« Sieglinde zwirbelte an ihrem rechten Ohrring und suchte nach Worten.
Wenn du spießig und bieder sagst, gibt’s aufs Maul, Trulla. »Ich bin … beruflich hier.«
»Tatsächlich? Dann suchen Sie …«
»Kostüme!« Schalala, ein Geistesblitz.
»Waren die Kleider nicht oben?«
Verdammt. »Äh … aber … wir tragen ja auch was drunter. So was zum Beispiel.« Rupf, riss Jule demonstrierend irgendwas vom Ständer, hielt es hoch und äh, hängte es schleunigst wieder zurück. »Vergriffen. Verzeihung. Natürlich keine Strings mit Reißverschluss im Schritt. Mehr … Bü-Bühnenberufsbekleidung.«
Sieglinde stutzte. »Sind Sie jetzt nicht beim Fernsehen?«
Kacke, Kacke, Kacke. »Korrekt. Aber vor der Kamera brauchen wir ja auch Klamotten. Nichts Wildes, keine Dessous, Gott bewahre. Liebes Leben ist eine pädagogisch wertvolle Vorabendserie, und mir war es natürlich ein Anliegen mit meiner Rolle als Babett …«
»Jule, in diesem Pornofummel vögelst du mich nie.«
Bogacz, ich bring dich um!
Prächtig. Was für eine gelungene Szene. Blanker Horror. Eine gedankenverlorene Ewa, die mit der Corsage in Händen aus dem Umkleidebereich rauschte, aufblickte, stutzte, die Lage erfasste und in Millisekundenschnelle feuermeldermäßig errötete. Das angegreiste Ehepaar, das irritiert von einer zur anderen stierte. Und Jule, die sich taumelig gegen die sexy Dekopuppe lehnte und parallel zum eingefrorenen Lächeln nach Worten rang. Knigge, Schweitzer, Knigge. Sag was Nettes.
»Ewa, darf ich vorstellen? Das sind … äh …« Ihr fragender Blick ging ans Fangespann, und schon kam ihr Sieglinde zu Hilfe.
»Neudecker. Aus Bad Liebenzell. Das ist im
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