VIRALS - Nur Die Tote Kennt Die Wahrheit
Bruschetta. Hörte flüsternde Stimmen, das Klirren des Tafelsilbers, das Knirschen von Kies unter den Schritten. Schmeckte die Salzkristalle des Ozeans, die in der Luft waren. Spürte den sanften Druck, den das Gewicht der Halskette auf meinen Nacken ausübte.
Es war unglaublich.
Zum ersten Mal an diesem Tag wurde ich nicht von einem Gefühl der Unsicherheit beherrscht. Diese Snobs waren nicht zu dem in der Lage, was ich konnte. Hätten es sich nicht einmal vorstellen können.
Mit neuem Selbstbewusstsein entschloss ich mich, meinen Rundgang fortzusetzen.
Mühelos filterten meine Ohren Gesprächsfetzen aus der allgemeinen Geräuschkulisse heraus. Hatte irgendwer meinen Zustand bemerkt? Meine Bewegungen beobachtet?
Ja und nein. Obwohl niemand meinen Schub registriert hatte, wurde einiges über mich geredet. Mitschüler tuschelten hinter vorgehaltener Hand. Und was ich zu hören bekam, war nicht sehr schmeichelhaft.
Meine wiedergewonnene gute Laune verpuffte.
Um ehrlich zu sein, habe ich nie zu den angesagten Leuten gehört. Ebenso wenig wie die anderen Virals. Die Bolton-Schnösel ziehen uns gnadenlos auf. Sie nennen uns Landeier oder Inselaffen. Sie wissen, dass wir nicht reich sind, und bringen uns das ständig in Erinnerung.
Und an diesem Nachmittag merkte ich, dass die Ereignisse der letzten Zeit mich noch unbeliebter gemacht hatten, was ich nicht für möglich gehalten hätte.
Für viele Mitschüler war ich einfach nur » dieses Mädchen«. Zum Beispiel » dieses Mädchen, das bei den Claybournes eingebrochen ist«. Oder » dieses Mädchen, das Chance hinter Gitter gebracht hat«. Andere sprachen von mir als der » raffinierten Kleinen«. Meine Lieblingsbezeichnung: » die Hexe von der Insel«.
Nach dem zu urteilen, was ich aufschnappen konnte, galt ich praktisch als Verbrecherin. Meine blaublütigen Mitschüler konnten sich nicht damit abfinden, dass so ein Inselaffe wie ich einem der ihren das Handwerk gelegt hatte.
Die Geschichten, die ich zu hören bekam, brannten mir in den Ohren. Wüste Räuberpistolen, die nichts mit der Wahrheit zu tun hatten. Einige der Gerüchte waren schier wahnwitzig. Jeder hatte eine Meinung, allesamt waren sie wenig schmeichelhaft.
Niedergeschlagen versuchte ich, meine Ohren zu verschließen. Mich auf ein anderes Sinnesorgan zu konzentrieren.
Wie wär’s mit der Nase?
Ich sog die Luft in meine Nasenlöcher, achtete darauf, nicht unwillkürlich ein Grunzen von mir zu geben. Normalerweise war ich in der Lage, verschiedene Aromen zu identifizieren. Frisch gemähtes Gras. Ein ekelhaftes Parfum. Creed? Schwitzende Achseln. Geschmolzene Butter.
Alles vertraute Gerüche.
Dann änderte sich ihr Charakter. Neue Aromen erreichten mein Bewusstsein. Es war mehr eine Ahnung, die unmittelbar unter der Oberfläche der Wahrnehmung lauerte. Ferne und vage Gerüche, die sich kaum bestimmen ließen. Wie Worte, die einem auf der Zunge lagen, aber nicht einfielen.
Mein Sinnesapparat versuchte, den olfaktorischen Input zu analysieren. Error. Anders ausgedrückt: Meine Nase spielte langsam verrückt.
Dieses säuerlich wabernde Aroma, das von der rot gewandeten Debütantin ausging, die gerade mit ihrem Freund sprach. Konnte das… Nervosität sein?
Und dieser dumpfe, essigsaure Geruch, den das Kleinkind am Karpfenbecken verströmte, während es gelegentlich Kiesel ins Wasser warf… Wenn ich es unbedingt benennen müsste, würde ich sagen: Langeweile.
Ich konnte es mir nicht erklären, aber ich roch… irgendwas. Und mein Gehirn bestand darauf, neue Verbindungen herzustellen. Ich tauchte tiefer hinab.
In meinem Gehirn wurde eine Tür aufgestoßen. Tausende von Gerüchen strömten hindurch.
Ich fiel auf die Knie und presste beide Hände gegen den Kopf. Diese Sturzflut an Informationen war zu viel für mich. Zitternd versuchte ich, den Schub abzuschütteln. Das musste aufhören.
KLACK .
Die Energie schwand. Meine Sinne normalisierten sich. Es war vorbei.
Ich nahm meine Sonnenbrille ab und rieb mir die Augen. Fühlte mich total ausgelaugt. Durch die Mangel gedreht. Als meine Augenlider wieder hochklappten, stand die sechsbeinige Tussi direkt vor mir.
NEIN NEIN NEIN .
Courtney Holt. Ashley Bodford. Madison Dunkle.
Drei verwöhnte Ziegen, die Prinzessin spielten. Mein persönlicher Albtraum.
Sie mochten mich nicht und ich verabscheute sie. Diese Mädchen waren das Letzte auf der Welt, was ich in diesem Augenblick sehen wollte.
» Was machst du denn hier?« Courtney schien wirklich
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