VIRALS - Nur Die Tote Kennt Die Wahrheit
herrschten.
Zumindest größtenteils. Mir lief bereits der Schweiß. Kein Wunder. Im Schwitzen bin ich nämlich Weltklasse.
Während ich neben Jason herspazierte, warf ich einen Blick in mehrere weiße Segeltuchzelte, die sich in zwei Reihen auf der Rasenfläche verteilten. Hier eine Kunstauktion, dort eine Tombola. Jedes Zelt stand unter einem bestimmten Motto. Wenn man vom Umfang der Aktivitäten ausging, konnte das Amerikanische Herzzentrum mit satten Einnahmen rechnen.
Professionell gestylte Debütantinnen wandten sich unter den wohlgefälligen Blicken schwerreicher Eltern ihren distinguierten Kavalieren zu. Die ganze Atmosphäre stank nach Luxus, Privilegien und Selbstzufriedenheit.
Ich hätte mir nicht deplatzierter vorkommen können.
Jason ging geradewegs auf einen der gedeckten Tische zu, offenbar besorgt über die erschreckend spärliche Anzahl von Krabbencocktails. Und ich war wieder mir selbst überlassen. War ja klar.
Ich zog meine Sonnenbrille aus der Handtasche und setzte sie in der Hoffnung auf, dass die polarisierten Gläser mein Elend ein wenig verbergen würden. Entschlossen, das Beste aus dieser grauenhaften Situation zu machen, spazierte ich langsam im Kreis, auf der Suche nach freundlichen Gesichtern.
Fehlanzeige. Meine Lage war noch schlimmer als sonst. Ich entdeckte ein paar Mitschüler, doch niemand machte sich die Mühe, mich zu begrüßen.
Ich spürte die Blicke auf meinem Rücken. Nahm Getuschel wahr. Ich beschleunigte meine Schritte, als würde mir das etwas nützen. Doch wohin sollte ich mich flüchten?
Geistesabwesend stieß ich mit einer Kellnerin zusammen. Sie geriet ins Stolpern, ruderte mit einem Arm, während die Krabbenpasteten auf ihrem Tablett ins Rutschen gerieten. Ich hatte erschrocken einen Satz nach hinten gemacht, wobei meine Sonnenbrille ins Gras gefallen war.
» Sorry!« Ich hob sie rasch wieder auf und bildete mir ein, ich sei unsichtbar.
Welch ein Irrtum.
Hinter mir hörte ich ein Kichern. Ich riskierte einen raschen Blick.
Drei Jungs aus dem dritten Highschooljahrgang. Ausnahmslos Lacrossespieler.
Mir pochte das Blut in den Ohren. Mein Gesicht brannte vor Scham.
Ein Blitz.
Ein Knall.
KLICK .
Verdammt.
KAPITEL 8
Der Schub kam mit voller Wucht.
All meine Sinne schalteten auf Turbo, explodierten förmlich, wie ein Auto, dessen Radio beim Start mit voller Lautstärke losbrüllt. Systemabsturz.
Schmerz zuckte durch meinen Stirnlappen, löste sich auf. Ich stieß ein kaum hörbares Winseln aus. Schweiß glänzte auf meiner Haut.
Meine Herzfrequenz vervielfachte sich.
Panisch schlug ich mir die Sonnenbrille förmlich ins Gesicht, um meine goldenen Augen zu verbergen. Wartete auf offene Münder und ausgestreckte Zeigefinger. Horchte auf entsetzte Schreie.
Doch niemand würdigte mich eines Blickes.
Ein Kellner ging mit einer Gemüseplatte vorbei. Zwei Zelte weiter standen die Lacrossespieler laut diskutierend neben einem Glücksrad. In der Nähe verglich eine Horde blauhaariger Frauen ihre Hüte, während sie an Champagnerkelchen schlürften.
Die Party lief ungestört weiter.
Mit zitternden Händen strich ich mein Haar glatt und setzte meinen Rundgang über das Gelände fort.
Sie können deine Augen nicht sehen. Niemand hat etwas bemerkt.
Das war nie zuvor passiert. Dass ich mir nichts, dir nichts einen Schub bekommen habe. Am helllichten Tag. Unter all den Leuten. Das war doch Irrsinn, Selbstmord.
Ein winziger Zusammenstoß und ein paar Lacher hatten ausgereicht, um ihn auszulösen. Warum hier, warum jetzt?
Das war extrem gefährlich. Von jetzt an würde ich stets meine Sonnenbrille mitnehmen, überallhin, bei Tag und Nacht. Was wäre geschehen, hätte ich sie heute nicht dabeigehabt?
Mein planloser Spaziergang führte mich zum Eingang des Klubhauses, der am Ende der Rasenfläche lag. Zur Linken sah ich eine Gartenbank, die sich zwischen ein paar Hornsträuchern versteckte. Ich nahm unverzüglich Platz. Vielleicht konnte ich hier, allein im Schatten, den Schub wieder rückgängig machen.
Ruhig. Durchatmen.
Von allen Seiten stürmten Informationen auf mich ein, forderten meine Aufmerksamkeit. Die Welt offenbarte sich mir kristallklar und gestochen scharf. Langsam, vorsichtig versuchte ich den Wirrwarr der Sinneseindrücke zu ordnen.
Ich konnte die einzelnen Grashalme voneinander unterscheiden, erkannte die Nähte an den Kleidern meiner Mitschüler. Nahm den Duft von Oleander wahr, roch menschlichen Schweiß, auf Eis liegende Schalentiere und
Weitere Kostenlose Bücher