VIRALS - Nur Die Tote Kennt Die Wahrheit
überrascht zu sein. Was in Anbetracht ihres Intellekts die Regel war. » Du kannst doch hier nicht mitmachen. Nicht nach dem, was du Hannah angetan hast.«
» Ich? Ihr angetan?« Ich sprach ohne nachzudenken. » Ist das dein Ernst?«
Courtney nickte, die Augen weit aufgerissen, mit federnden blonden Locken. Ihrem winzigen blauen Kleid gelang es kaum, ihre perfekte Figur zu bedecken. Saphirblaue Edelsteine funkelten in der Nachmittagssonne.
» Du bist eine Kriminelle«, sagte sie todernst. » Du treibst die Leute in den Wahnsinn!«
Die sechsbeinige Tussi stand Schulter an Schulter. Ich saß in der Falle.
» Ich weiß nicht, wie du es fertigbringst, hier einfach aufzutauchen.« Ashley strich sich ihr glänzendes schwarzes Haar aus den Augen. » Niemand will dich hier haben. Begreif das endlich.«
Okay, das tat weh.
Madison kicherte. Sie war die unverschämteste der drei, sozusagen die Speerspitze der sechsbeinigen Tussi. Haare, Fingernägel, Make-up, alles makellos– sie strotzte nur so vor exzessivem Luxus.
Außerdem war Madison in Jason verknallt, und sein Interesse an mir machte alles nur noch schlimmer.
Wo steckte er bloß? Im Moment hätte ich seine Aufmerksamkeit gut gebrauchen können.
» Jeder weiß, dass du eine Missgeburt bist«, sagte Madison brutal. » In welches Haus willst du als Nächstes einbrechen?«
Genug. Drei gegen eine, und sie hielten sich nicht zurück. Höchste Zeit, den Rückzug anzutreten. Links von mir war die Eingangstür. Ich eilte zu ihr und versuchte, sie mit der Schulter aufzuschieben. Doch sie bewegte sich nicht.
Explodierendes Gelächter.
» Versuch’s mal mit Drücken, Süße.« Madison.
» Aber bring dein geliehenes Kleid nicht in Unordnung«, fügte Ashley hinzu.
» Wirklich ein hübsches Kleid«, sagte Courtney. » Wo sie das nur herhat? Vielleicht gibt’s irgendwo eine Spendenaktion für Debütantinnen?!«
Unsere Auseinandersetzung zog immer mehr Zuschauer an. Ich hasste das.
Madison hingegen genoss es, wenn sie Publikum hatte, und machte sich für den entscheidenden Schlag bereit.
» Vielleicht solltest du dir ein anderes Hobby suchen, Tory.« Kühles Lächeln. » Eins, das zu Leuten wie dir passt.«
Ashley und Courtney nickten.
Gedemütigt riss ich die Tür auf und floh nach drinnen.
» Man sieht sich!«, rief Madison. » Wir werden die ganze Saison über hier sein!«
Gehässiges Kichern folgte mir in das klimatisierte Dunkel.
KAPITEL 9
Hinter mir fiel die Tür ins Schloss.
Ich eilte über einen roten Teppich, vorbei an Pokalen, Modellschiffen und riesigen Wandgemälden, auf denen altertümliche Seereisen dargestellt waren.
Doch nahm ich meine Umgebung kaum richtig wahr. Ich war immer noch zu aufgeregt.
Lauf weg. Beruhige dich.
Dieses feige Mantra schwirrte durch meinen Kopf.
Lauf weg. Beruhige dich.
Schließlich erreichte ich einen prunkvollen Speisesaal. In der Mitte machte sich ein gigantischer Mahagonitisch breit, umgeben von Stühlen mit Brokatpolsterung. An der Stirnseite des Raumes fiel das Sonnenlicht durch riesige Fenster, die einen freien Blick auf den Hafen boten. Der Duft von poliertem Holz und frisch gewaschenen Leinendecken lag in der Luft.
Die Erhabenheit des Saals riss mich aus meinen Gedanken.
» Ganz schön protzig.« Der leere Raum verschluckte meinen geflüsterten Kommentar.
Die Hände in die Hüften gestemmt, atmete ich tief durch und versuchte, wieder zu mir selbst zu kommen. Allmählich hörten meine Beine auf zu zittern.
Ich überschlug meine Möglichkeiten. Zur Party zurückkehren? Auf keinen Fall. Ziellos herumgeirrt war ich heute schon genug.
Abhauen? Klar, aber wie? Das Boot ging erst in einer Stunde.
Während ich hin und her überlegte, fiel mein Blick auf ein Gemälde. Ausdrucksstark, lebendige Farben, irgendwie anders als die übrigen Bilder.
Ich trat näher heran.
Öl auf Leinwand. Rahmen aus Zedernholz. Es schien sehr alt zu sein, verwitterter als die anderen Gemälde und doch lebendiger. Blau- und Rottöne mit gelben Einsprengseln. Es fiel einem sofort ins Auge, auch wenn es zweifellos kein Meisterwerk war.
Im Gegensatz zu den mürrischen Männern auf den anderen Gemälden war hier eine Frau porträtiert, eine draufgängerische Lady in Männerkleidern. Sie stand an Deck eines Schiffs, mit flatterndem rotbraunen Haar, in der einen Hand eine Pistole, in der anderen einen Dolch.
Fasziniert versuchte ich, den Namen des Schiffs herauszubekommen. Keine Chance. Dann suchte ich auf dem gewölbten Holzrahmen
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