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VIRALS - Nur Die Tote Kennt Die Wahrheit

VIRALS - Nur Die Tote Kennt Die Wahrheit

Titel: VIRALS - Nur Die Tote Kennt Die Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathy Reichs
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nach einem Schild, das den Namen des Künstlers und den Titel des Bildes verriet. Fehlanzeige.
    » Ah, Sie bewundern die junge Bonny!«
    Ich zuckte zusammen. Drehte mich um.
    Ein Mann stand hinter mir, offenbar ein Hausangestellter: schwarze Hose, weißes Hemd, Weste und Jackett. Zur Krönung eine lächerliche weiße Fliege. Er musste sich mir völlig lautlos genähert haben. Seltsam.
    » Sie haben ein gutes Auge.« Der Mann trat näher und nickte in Richtung des Gemäldes. Ich schätzte sein Alter auf jenseits der siebzig. Er hatte dichtes weißes Haar und buschige Augenbrauen. Plötzlich stand mir das Bild von Colonel Sanders vor Augen, dem Gesicht von Kentucky Fried Chicken. » Es ist zwar nicht das wertvollste Bild dieser Sammlung«, fuhr er fort, » aber das charaktervollste.« Dabei ballte er die Faust, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen.
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Der alte Kerl war wie aus dem Nichts gekommen.
    » Oh, entschuldigen Sie vielmals mein unverzeihliches Benehmen.« Er streckte mir seine Hand entgegen. » Mein Name ist Rodney Brincefield. Caterer. Barkeeper. Hobbyhistoriker. Mädchen für alles.«
    Ich nahm automatisch seine Hand, blieb aber auf der Hut.
    » Ich arbeite gelegentlich im Palmetto Club.« Brincefield zwinkerte. » Damit ich meine Freundin wiedersehen kann.«
    Bitte?
    Brincefield stieß seinen knochigen Daumen in Richtung des Bildes. » Anne Bonny! Sie haben doch wohl von ihr gehört?!«
    Ah, der komische Kauz war ein Kunstliebhaber. Na gut.
    Ich schüttelte den Kopf. » Ich bin erst vor ein paar Monaten nach Charleston gezogen. Kam sie von hier?«
    » Manche bezweifeln das. Andere bestreiten es vehement. Aber niemand weiß das genau.«
    Und worum geht’s?
    » Anne Bonny war eine Furcht einflößende Piratin, eine Legende.« Brincefield machte ein strenges Gesicht. » So etwas müssen sie euch in der Schule beibringen.«
    » Eine Piratin?« Ich konnte die Skepsis in meiner Stimme nicht verbergen. » Ich dachte, das wären nur Männer gewesen.«
    » In der Regel schon, aber Anne Bonny war etwas ganz Besonderes. Eine echte Feministin, könnte man sagen. Ihrer Zeit Jahrhunderte voraus. Aber ich will Sie nicht mit Details langweilen.« Er seufzte. » Die jungen Leute von heute interessieren sich nicht mehr für Geschichte. Es geht nur noch um Computerspiele und Internet und das ganze Zeug.«
    » Aber nein, erzählen Sie ruhig weiter«, forderte ich ihn auf. » Das interessiert mich.«
    Brincefield warf mir einen forschenden Blick zu.
    » Sie haben tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit mit ihr«, bemerkte er. » Und nicht allein wegen der roten Haare.«
    Ich entgegnete nichts. Die Intensität seines Blicks bereitete mir ein fast mulmiges Gefühl.
    Brincefield rieb sich das Kinn. » Wo soll ich anfangen?«
    Ich wartete verlegen.
    Zugegeben, ich sah wirklich ein bisschen so aus wie die Frau auf dem Gemälde. Rote Haare. Hochgewachsen und schlank. Außerdem war sie sehr hübsch– herzlichen Dank.
    Aber am besten gefielen mir ihre Augen. Smaragdgrün, wie meine. Der Künstler hatte ihnen ein verschlagenes Funkeln verliehen, als wolle ihre Besitzerin die ganze Welt herausfordern. Als amüsiere sie sich über etwas, das niemand außer ihr wusste.
    Dennoch verstand ich nicht, warum der Alte das Bild so bewunderte.
    » Anne Bonny hat sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts auf dem Atlantik herumgetrieben«, begann Brincefield unvermittelt. » Manchmal hat sie sich wie ein Mann gekleidet, manchmal nicht. Dieses Porträt zeigt sie an Deck der Revenge, einem Schiff, das unter dem Kommando eines Piraten namens Calico Jack stand.«
    Brincefield tippte sich an die Nase. » Gerüchten zufolge hatten die beiden was miteinander. Doch er war nicht ihr Ehemann.«
    Ich nickte. Was sollte ich auch anderes tun?
    » Von der Karibik bis zur Küste North Carolinas trieb die Revenge ihr Unwesen. Ihre Besatzung hat vorzugsweise Schiffe gekapert, die den Hafen von Charleston ansteuerten oder verließen. Eine Zeit lang waren sie leichte Beute.«
    Nächste Pause.
    » Eine Zeit lang?«, hakte ich nach. Ich hatte den Verdacht, dass Brincefields Gedanken dazu neigten, auf Wanderschaft zu gehen.
    » In den 1720er Jahren ging die Kolonialmacht unerbittlich gegen die Piraterie vor. Die Seeräuber waren auf einmal selbst die Gejagten. Und irgendwann hat man Calico Jack und seine Leute geschnappt und vor Gericht gestellt. Alle wurden gehängt.«
    » Gehängt?« Ich war schockiert. » Anne Bonny wurde

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