VIRALS - Nur Die Tote Kennt Die Wahrheit
kein Wort.
» Nein, nein, alles bestens«, sagte ich rasch. » Trotzdem danke, Tom.«
Ben legte schneller ab als üblich. Ich hörte seinen Vater leise lachen, während wir uns entfernten.
» Wohin?«, fragte Ben.
» Zum Palmetto Yacht Club, East Bay.«
» Ich weiß, wo der ist«, entgegnete er schroff.
Okay, okay.
Wir fuhren um Morris Island herum und steuerten den Hafen von Charleston an. Während wir uns der Hafeneinfahrt näherten, versuchte ich, unseren Bunker zwischen den Dünen auszumachen, doch wie immer vergeblich. Gut so.
Ben fand einen Weg durch das Gewirr der Sandbänke hindurch. Da er ja quasi in seinem Boot zu Hause war, ließ ich ihn die Route bestimmen. Er schien jede einzelne der kleinen Inselchen in dieser Gegend zu kennen, und es gab Dutzende davon. Hunderte.
Da mitten am Tag eine Gluthitze herrschte, war ich froh über die kühle Meeresbrise. Der scharfe Geruch des Salzwassers stieg mir in die Nase. Möwen kreisten schreiend über uns. Zwei Delfine tummelten sich im Kielwasser der Sewee. Mein Gott, wie sehr ich das Meer doch liebe.
» Siehst gut aus«, sagte Ben steif, seinen Blick auf den Horizont gerichtet.
» Danke«, antwortete ich unbeholfen.
Ich trug das weiße Katey-Kleid von Elie Tahiri. Das mit den applizierten metallisch-goldenen Blumenornamenten. Todschick, sündhaft teuer– und nicht mein Eigentum. Noch so ein Designerfummel, den ich mir nie leisten könnte.
Was soll ich über die lange Tradition des Cotillion in den Südstaaten erzählen? Es handelt sich um einen nervtötenden Figurentanz, den die verwöhnten Gören reicher Eltern lernen müssen, um in die Gesellschaft eingeführt zu werden. Das ist jedenfalls mein Eindruck.
Im Grunde geht es darum, im Rahmen dieses Gesellschaftstanzes so elementare Dinge wie Höflichkeit und Respekt zu praktizieren, seine kommunikativen Fähigkeiten zu schulen und sich an eine gewisse Etikette zu halten. Doch in Wahrheit vergleichen all diese stinkreichen Kids nur die Preisschilder ihrer Abendgarderobe und stopfen Gänseleberpastete in sich hinein.
So ein Cotillion führt also zu endlosen Outfitproblemen, dir mir eigentlich schnurzpiepegal sind. Kits unausstehliche Freundin, Whitney Dubois, hat das Dilemma bis jetzt gelöst, indem sie » meine« Kleider aus der Nobelboutique ihrer Freundin ausgeliehen hat. Der Schmuck dazu– in diesem Fall ein zauberhafter Armreif aus Sterlingsilber samt passender Halskette von Tiffany– stammte aus dem Privatbesitz des solariumbraunen Modepüppchens Whitney.
Eigentlich hasse ich es, mich so aufzubrezeln, aber so fällt man bei diesen Veranstaltungen eben am wenigsten auf.
Kotz.
Ben drückte den Fahrhebel nach unten, um zu beschleunigen.
» Wie viele solcher Veranstaltungen hast du denn insgesamt?«
» Weiß nicht genau. Vielleicht zwei, drei im Monat.« Bestandteil des Albtraums war, dass ich im Herbst zu den Debütantinnen gehören sollte. Dank Whitney war mein Schicksal also besiegelt. Ich war dazu verurteilt, nicht nur in der Schule, sondern auch noch in meiner Freizeit mit der Nachwuchs-Elite der Stadt zu verkehren.
Doppelkotz.
Während wir durch das Hafenbecken und an Fort Sumter vorbeischossen, behielt Ben stets die größeren Schiffe im Auge. Die Sewee ist zwar ein solides Boot– ein knapp 5 Meter langer Boston Whaler–, aber die Kollision mit einem Frachtschiff würde sie zu Kleinholz machen.
Wir erreichten die Halbinsel in weniger als einer halben Stunde.
» Da ist dein nobler Schuppen.« Ben zeigte in Richtung Yachtclub. » Mal sehen, ob ich mit meinem Billigboot überhaupt anlegen darf.«
Na toll. Wenn der Ort ihn so ankotzt, warum hat er mich dann überhaupt hierhergefahren? Ich hab doch auch keine Lust, hier zu sein.
Ben war wirklich noch schlechter gelaunt als sonst. Er schien regelrecht verärgert zu sein. Sein Verhalten war mir ein Rätsel. Normalerweise hätte ich ihn für neidisch gehalten, doch Ben Blue hatte nicht das geringste Interesse an dieser blöden Cotillion-Party, so viel war mir klar. Warum stellte er sich also dermaßen an?
Da in diesem Moment mein iPhone piepte, brauchte ich Bens Bemerkung nicht zu kommentieren.
Eine SMS von Jason. Er wollte mich am Kai treffen.
» Der blonde Klotzkopf?«, fragte Ben.
» Jason ist kein Klotzkopf. Was hast du eigentlich für ein Problem mit ihm? Er hat uns doch geholfen.«
» Gegen Blödmänner bin ich nun mal allergisch.«
Mit eisigem Schweigen glitten wir durch den Yachthafen.
Ich warf ihm einen verstohlenen Blick
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