VIRALS - Nur Die Tote Kennt Die Wahrheit
uns entgegengehen.
Aber den Patienten war das eigenmächtige Telefonieren untersagt. Chance hatte keine Ahnung, dass wir vor Ort waren.
Doch wir konnten nicht länger warten. Am Sonntag war bestimmt weniger Personal in der Klinik. Und je weniger Personal, desto geringer die Gefahr, geschnappt zu werden. Ich musste nur herausfinden, wo er sich aufhielt.
Hi erläuterte seinen Part. » Tory und ich schleichen uns in den dritten Stock, ich behalte das Treppenhaus im Auge.«
Mein Einsatz. » Ich suche die Zimmer ab, finde Chance und kehre zu Hiram zurück.«
» Die Treppen runter«, fuhr Hi fort, » und Shelton einsammeln.«
» Ich schreibe Ben eine SMS «, sprach Shelton weiter, » während wir uns zur Anlegestelle zurückziehen.«
» Wo ich schon auf euch warte«, schloss Ben. » Ablegen, zurück in den Urwald, fertig.«
Unser Plan war wohldurchdacht. Doch vieles konnte schiefgehen.
Was geschah, wenn jemand die Sewee entdeckte? Wie viele Aufpasser befanden sich im Gebäude? Wie konnte ich Chances’ Zimmer finden?
Ich schob die Zweifel beiseite. Kein Plan konnte das Unvorhersehbare mit berücksichtigen. Wir würden uns spontan auf die Gegebenheiten einstellen.
Tief durchatmen. » Los geht’s!«
» Roger!« Ben gab Gas und wir schossen über den See.
Im Schutze der Weiden sprangen Shelton, Hi und ich über Bord und wateten an Land. Ben machte kehrt und zog sich mit der Sewee ins Schilf zurück.
» Jetzt?«, fragte Hi.
» Ja«, antwortete ich und biss die Zähne zusammen.
KLICK .
Die Energie raste durch mich hindurch. Feuer und Blitz. Ich schloss die Augen und wartete, bis das Zittern nachließ.
Meine Sinne erwachten zum Leben. Die Welt war mit einem Mal gestochen scharf.
» Fertig?«, keuchte ich.
Die Jungs nickten, ihre goldenen Augen hinter dunklen Gläsern verborgen. Ich brachte meine eigene Sonnenbrille in Position und nahm den kleinen Hügel in Angriff.
Die tief stehende Sonne in unserem Rücken war uns behilflich, unsere Ankunft zu verschleiern. Wir huschten auf das Grundstück und gingen hinter einer Hecke in Deckung.
Glücklicherweise hatte die Hitze des Tages dafür gesorgt, dass alle innerhalb des Gebäudes geblieben waren.
Schweigend begutachtete ich das burgähnliche Anwesen, das sich drohend vor uns auftürmte. Der Hintereingang war genau dort, wo wir ihn erwartet hatten.
Shelton schlich zur Tür, zog daran und wäre vor Schreck fast der Länge nach hingefallen, als sie widerstandslos aufglitt. Er hielt sie für Hi und mich halb geöffnet. » Viel Glück.« Shelton verschmolz mit dem Dunkel der nahe gelegenen Büsche.
Drinnen erblickten wir ein geräumiges Treppenhaus. Ich hielt inne, um mich zu orientieren.
Hinter einer Tür zu unserer Rechten waren dumpfe Stimmen zu hören.
Hi machte eine Kopfbewegung die Treppe hoch.
Klirrende Schlüssel. Quietschende Schuhe. Grobes Lachen.
Hi und ich hetzten die Stufen hinauf.
Dritter Stock. Eine doppelte Schwingtür trennte das Treppenhaus von einem langen Gang. Ich lauschte angestrengt.
Nichts. Selbst mit meinem Schub hörte ich nichts als das Ticken einer Uhr.
Wo sind die alle?
» Warte hier«, flüsterte ich.
Ich betrat einen weiß gekachelten Flur mit stählernen Türen. Daneben jeweils eine Tafel aus Metall. Am Ende des Flures ein leerer Stuhl.
Ich flitzte von Tafel zu Tafel, überprüfte die Namen, war sicher, dass man mich früher oder später erwischen würde, und schielte immer wieder zum Lift hinter dem Schwesternzimmer hinüber.
Chance Claybourne stand auf der fünften Tafel.
Keine Zeit zu verlieren.
Als ich die Tür öffnete, schlug mir das Herz bis zum Hals. Der Raum wirkte freundlich. Ein Bett und ein hölzerner Schreibtisch. Hellblaue nackte Wände. Ein Fenster, das auf einen japanischen Steingarten hinausging.
Chance lag im Bett und las ein Buch. Obwohl er einen abgetragenen Jogginganzug trug, sah er aus wie ein Dressman. Wie seltsam, dass ich ihn immer noch so attraktiv fand.
Denk dran, was er getan hat. Was er vertuschen wollte.
Der überraschte Laut, den Chance ausstieß, brachte mich schlagartig zu mir.
» Tory?« Ein perplexer Blick. » Was im Himmel tust du hier?«
» Du hast doch gesagt, wir sollen dich hier rausholen. Ich hab zwar bisher keinen Drachen getötet, aber der Tag ist ja noch jung.«
» Jetzt gleich?« Chance war zu überrascht, um seine coole Fassade zu bewahren. » Gibt es einen Fluchtweg? Und was soll die Sonnenbrille?«
» Keine Fragen jetzt… oder hast du etwas anderes vor?«
»
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