VIRALS - Tote können nicht mehr reden - Reichs, K: VIRALS - Tote können nicht mehr reden
Von salzigen Verkrustungen überzogen.
Das grobe Leinen war teils verrottet, doch konnte ich immer noch die Buchstaben auf der Lasche lesen: K.A.H.
»Na, was sagst du jetzt, Blue?« Ich lehnte meinen Rücken gegen die Wand.
»Ich fass es nicht!« Ben schüttelte völlig perplex den Kopf. »Du hast es geschafft, Tory. Du hast Katherines Rucksack gefunden.«
KAPITEL 59
Den ganzen Heimweg über war ich total aus dem Häuschen.
Ich hatte es geschafft. Wider alle Wahrscheinlichkeit hatte ich Katherine Heatons Rucksack gefunden.
Ein kleiner Schub hat es möglich gemacht.
Dass ich einen persönlichen Gegenstand von Katherine entdeckt hatte, versetzte mich in Hochstimmung. Löste ein fast unwirkliches Gefühl in mir aus. Als hätte ich die Zeit zurückgeholt. Was ja in gewisser Weise auch stimmte.
Die Sonne versank hinter dem Horizont, während wir durch die Wellen schnitten. Der Himmel färbte sich indigoblau und die Sterne wagten sich hervor. Ein einsamer Pelikan flog auf, entweder um sich einen Schlafplatz oder einen letzten Snack zu suchen. An Abenden wie diesem liebte ich meine neue Heimat.
Ich ging ganz in meiner Umgebung auf und berauschte mich an meiner Selbstgewissheit. Wir können es schaffen, dachte ich. Wir können das Rätsel lösen.
Doch meiner Euphorie zum Trotz war ich standhaft geblieben und hatte noch keinen einzigen Blick in den Rucksack geworfen. Wir mussten vorsichtig sein. Katherines Rucksack war seit über vierzig Jahren nicht mehr geöffnet worden. Wer konnte schon etwas über den Zustand des Notizbuchs sagen?
Wenn es überhaupt darin war.
Natürlich war es darin. Ich war doch nicht zehntausend Stufen hinaufgekraxelt, hatte mich durch Tonnen von Vogeldreck gewühlt und etwas ans Tageslicht gezerrt, das seit
der ersten Mondlandung verschollen war, nur um am Ende in die Röhre zu schauen. Ausgeschlossen.
Als wir den Anleger von Morris erreichten, brach endgültig die Nacht herein. Ich drückte mir Katherines stinkenden Rucksack gegen die Brust und wartete zunehmend ungeduldig, bis die Jungs das Boot festgemacht hatten. Höchste Zeit, das Geheimnis zu lüften.
»Wohin jetzt?«, fragte ich.
»Zu mir«, sagte Shelton. »Mein Dad hat unsere Garage in eine komplette Werkstatt verwandelt. Der nimmt dort Computer auseinander, also liegen da auch Pinzetten, Schutzhandschuhe und so was rum. Außerdem sind meine Eltern heute Abend in der Stadt und sehen sich La Bohème an. Die kommen erst in ein paar Stunden zurück.«
Ben warf einen Blick auf meine dreckverkrusteten Arme. »Gibt’s da auch einen Abfluss? Und einen Gartenschlauch?«
Haha.
»Also los, worauf warten wir«, drängte ich.
»So nicht«, entgegnete Shelton.
»Unter die Dusche!«, sagte Hi.
»Jetzt gleich«, fügte Ben hinzu. »Wir warten solange.«
Ich streckte ihnen die Zunge raus, lief aber sofort nach Hause, um mich von Kopf bis Fuß abzuschrubben.
Zehn Minuten später stieß ich wieder zu den Jungs – frisch geduscht, neu gekleidet und voller Ungeduld. Sie hatten sich um einen Zeichentisch versammelt. Wie versprochen hatte den Rucksack noch niemand angerührt.
Meine saubere Kleidung hatte donnernden Applaus zur Folge. Ben stieß einen anerkennenden Pfiff aus.
»Viel besser so«, kommentierte Shelton.
»Also, ich weiß nicht recht.« Hi spitzte die Lippen. »Diese Vogelexkremente waren irgendwie sexy.«
»Sehr lustig«, erwiderte ich.
»Sir.« Shelton trat einen Schritt beiseite und deutete eine Verbeugung an. »Angesichts Ihrer überragenden wissenschaftlichen Fähigkeiten überlasse ich Ihnen das Feld.«
»Herzlichen Dank«, entgegnete Hi. »Dann lasst uns also zur Öffnung des Objekts schreiten.«
Hi positionierte eine Vergrößerungslampe über dem Gegenstand. Fluoreszierendes Licht ergoss sich über die Tischplatte.
»Und du hast den Rucksack wirklich gerochen?« Shelton konnte es nicht glauben. »Unter dem Bodengitter? Durch die ganze Vogelscheiße hindurch?«
»Tja …« Ich zuckte die Schultern. »Ich habe in Sylvia Briggermans Appartement an Katherines Pullover gerochen und denselben Geruch im Leuchtturm wahrgenommen. Beide Male hatte ich einen Schub.«
»Unglaublich«, sagte Shelton. »Würde ich auch gern mal probieren. Das muss fantastisch sein.«
»Also gerochen hat es jedenfalls nicht fantastisch. Der Gestank hätte mich fast umgebracht.« Doch ich musste zugeben, dass mich meine Spürhundfähigkeiten faszinierten. Diese Schübe konnten wirklich nützlich sein. Sehr nützlich sogar.
»Fertig?«,
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