VIRALS - Tote können nicht mehr reden - Reichs, K: VIRALS - Tote können nicht mehr reden
überprüfen«, sagte ich.
Mit eingezogenem Kopf betrat ich den Linsenraum. Er war so klein, dass man sich gerade darin umdrehen konnte. Über mir erhob sich die fensterlose, eiserne Kuppel und gab den Blick auf den Himmel frei.
Keine Möbel, keine Ausrüstung. Nur Dutzende zorniger Möwen. Keine weitere Zeit zu verlieren.
»Das war’s dann wohl«, sagte Hi.
Ich nickte. Wir hatten uns sorgfältig umgesehen. Dieser Turm war eine leere Hülle. Der Trip war ein Fehlschlag.
Mit demonstrativem Stöhnen nahmen die Jungs den langen Abstieg in Angriff.
Der nächste Fehlschlag, dachte ich. Wir waren der Aufklärung des Mords an Katherine keinen Schritt nähergekommen. Der Mörder lief immer noch frei herum.
Ich hielte inne, betrachtete, wie sich die Köpfe der Jungs nach unten schraubten.
Es war naiv von uns zu glauben, dass wir überhaupt eine Chance hatten. Dass eine Horde halbwüchsiger Intelligenzbestien in der Lage sein könnte, einem Mörder das Handwerk zu legen. Wahrscheinlich kriegte der sich gar nicht wieder ein vor Lachen.
Wie so oft im Leben hatte das Böse die Oberhand behalten.
Ich ballte die Fäuste, während die Frustration in mir hochkochte. Ich stand kurz vor der Explosion.
KLICK.
Der Gestank des Vogelkots raubte mir fast den Verstand. Ich konnte nicht mehr denken, nicht mehr atmen. Ich hielt den Atem an und rang doch verzweifelt nach Luft.
Besinnungslos stürzte ich wieder nach draußen auf die Galerie, um den giftigen Dämpfen zu entkommen.
Draußen schlang ich die Luft in riesigen Portionen herunter.
Zu schnell. Punkte tanzten vor meinen Augen. Mein Blick weitete sich, um sich im nächsten Moment zu einem langen schwarzen Tunnel zusammenzuziehen.
In panischer Angst setzte ich mich auf den Balkon und umklammerte das Geländer.
Tief einatmen. Zwei. Drei. Vier.
Allmählich gewann ich mein Gleichgewicht wieder. Mein Kopf wurde klarer, die Dunkelheit schwand. Ich schaute über das Wasser.
»Wahnsinn!«
Die Welt lag mir in all ihrer makellosen Schönheit zu Füßen. Selbst die kleinsten Objekte zeichneten sich messerscharf ab. Ich sah die Feuchtigkeitspartikel in der Luft, die sich zu Wolken zusammenballten. Wassertropfen, die auf schaumbesetzten Wellen glitzerten. Ein Wurm, der sich im Schnabel eines Spatzen wand. Mein eigenes Schlafzimmerfenster.
Ich ließ meinen Blick über den Hafen hinweg nach Charleston wandern. Überall funkelten die Lichter. Sanfte gelbe Rechtecke schimmerten in den Häusern entlang der Battery. Leuchtend orangefarbene und blaue Streifen in der Nähe des Alten Markts. Eine Ampel, die von Gelb auf Rot sprang.
Durch den scharfen Geruch des Ammoniaks hindurch nahmen meine Nasenlöcher Millionen weiterer Aromen wahr. Salz. Tang. Modrige Pflanzen. Benzin.
Und etwas ganz anderes. Neues. Vertrautes.
Ich hob mein Kinn und schnüffelte.
Dort kam es her. Aus dem Beobachtungsraum.
Ich kroch bis zur Türöffnung, streckte den Kopf in den Raum, schnüffelte erneut. Die Intensität des Duftes schwankte und war kaum in der Lage, den ekelhaften Gestank des Unrats zu durchdringen.
Plötzlich erinnerte er mich an etwas. Es war ein Geruch, den ich von irgendwoher kannte.
Erregt sog ich die Luft durch meine Nasenlöcher. Der Gestank des Vogelkots trieb mir Tränen in die Augen. Ich wischte sie fort, konzentrierte mich ganz darauf, der Geruchsspur zu folgen, ihre Quelle zu lokalisieren.
Sie musste irgendwo neben der Treppe sein, die zum Balkon führte. Hätte ich nicht zufällig hier gesessen, hätte ich nichts bemerkt.
Ich kroch hinein und begann, Blätter und Scheißhaufen zu entfernen. Vogeldreck klebte an meinen Fingern und klemmte unter den Nägeln. Ich versuchte, meinen Brechreiz zu unterdrücken.
Fünfzehn Zentimeter weiter unten legte ich ein Gitterrost frei, das in den Boden eingelassen und unter dem Dreck vieler Jahre verborgen gewesen war.
Ein Geräusch schreckte mich auf.
Mein Kopf fuhr herum.
»Tory, was machst du da?« Ben keuchte, sein Gesicht war knallrot. »Ich musste die ganze Treppe wieder rauflaufen.«
KLACK.
Ich zwinkerte, schüttelte den Kopf.
»Verdammt, der Schub ist weg.«
»Du hast hier oben …? Warum?«
»Es ist einfach passiert. Hilf mir mal, das hochzuheben. Ich hab darunter irgendwas gerochen.«
Ben stellte keine weiteren Fragen. Zusammen gelang es uns, das Gitter zu entfernen. Darunter war noch mehr Unrat. Ich tauchte mit den Händen in was auch immer hinein.
Meine Finger schlossen sich um einen festen Gegenstand. Verblasstes Grün.
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