VIRALS - Tote können nicht mehr reden - Reichs, K: VIRALS - Tote können nicht mehr reden
übrige Lichtung aus nichts als Gras bestand. Einige Blätter sahen wächserner aus als sonst.
»Schade, dass wir keinen Leichenhund dabeihaben«, sagte ich.
»Einen was?«, fragte Shelton.
»Einen Hund, der sofort reagiert, wenn er menschliche Verwesungsgerüche wahrnimmt. Manche Hunde sind darauf spezialisiert, sogar sehr alte Skelette zu finden.«
»Pfui Teufel«, sagte Ben.
»Gegen ein Bodenradar, eine Oberflächensonde und einen Metalldetektor hätte ich auch nichts einzuwenden«, entgegnete Hi. »Kannst du meinetwegen gleich mitbestellen.«
»Dann machen wir es eben auf die klassische Weise.« Shelton zeigte seine Armmuskeln. »Mit Männerkraft.«
Ich inspizierte die Vertiefung, um zu entscheiden, wie groß die Fläche war, die wir ausheben mussten. Nach einer optischen Prüfung entfernte ich auf einer Fläche von cirka drei Quadratmetern sämtliche Steine.
Dann errichtete ich eine provisorische Umzäunung, indem ich vier Holzstöcke in die Erde trieb und mit einer Leine verband. Nachdem ich ein tragbares Erdsieb auseinandergeklappt hatte, holte ich ein paar Handschaufeln aus meinem Seesack und reichte sie meinen zaudernden Rekruten.
»Den Humus könnt ihr Machos in die Eimer werfen«, sagte ich. »Das Sieben übernehme ich. Bei der geringsten Verfärbung machen wir mit dem Spatel weiter.«
»Verfärbung?«, fragte Ben.
»Jede Veränderung von Farbe, Textur oder Beschaffenheit könnte darauf hindeuten, dass sich in der Nähe die Überreste eines Leichnams befinden.«
Hi hob eine Hand.
»Ja bitte?«
»Das ist ein gottverdammter Scheißjob.«
»Ist notiert. Fangt an!«
Wir brauchten ungefähr eine Stunde, um die ersten 40 Zentimeter abzutragen. Die Jungs schaufelten, und ich siebte mich Schicht um Schicht durch die Erdpartikel, während
ich aufmerksam nach Knochenfragmenten, Kleiderfetzen, Schmuckstücken oder anderen Artefakten Ausschau hielt.
Die Jungs hörten sich etwa so an:
»Sklavenarbeit!« Shelton.
»Hab ich doch gesagt.« Hi.
»Nein, du hast ›gottverdammter Scheißjob‹ gesagt.« Shelton.
»Darf ich auch mal sieben?« Hi.
Ich antwortete nicht.
Sie schaufelten.
Ich siebte.
Nach zwei weiteren Stunden war die Grube ungefähr einen Meter tief. Nichts.
Ich kam mir zunehmend dämlich vor. Die Jungs wurden ungehaltener.
Die schwüle Hitze hob unsere Laune auch nicht gerade. Außerdem musste irgendjemand sämtliche beißenden und stechenden Insekten des gesamten Bezirks herbeigerufen haben.
Ich erschlug gerade einen Moskito, als ich etwas Beunruhigendes wahrnahm: Stille. Als ich den Kopf hob, blickte ich in drei mürrische Gesichter. Das Interesse an unserer Grabung schien auf den Nullpunkt gesunken zu sein.
Hi hob als Erster die Stimme: »Ich will ja nicht rummeckern, aber die Sache funktioniert einfach nicht. Wir haben einen Meter tief gegraben und nichts, aber auch gar nichts gefunden.«
»Hier ist nichts«, fügte Ben hinzu.
»Okay, einen Versuch war es wert.« Shelton kletterte mühsam aus der Grube heraus. »Kein Grund, sich zu schämen.«
»Noch fünfzehn Minuten«, flehte ich. »Bitte! Ich hab da so ein Gefühl. Vielleicht sind wir ganz nah dran.«
»Okay, fünfzehn. Eins-fünf.« Ben hob die Schaufel auf.
Achselzuckend tat Shelton es ihm gleich.
Hi warf mir einen Das-kann-nicht-dein-Ernst-sein-Blick zu.
»Komm, Hi, wir tauschen«, sagte ich. »Du siebst, ich grabe.«
Noch fünfzehn Zentimeter. Dann hören wir auf.
Während ich schaufelte, mischten sich die verschiedensten Gefühle in mir. Erleichterung? Enttäuschung? Scham?
Während ein Teil von mir den anderen beweisen wollte, dass ich keinem Hirngespinst erlegen war, war ein anderer Teil nicht so unglücklich darüber, dass ich mich geirrt hatte. Natürlich wollte ich das Rätsel um Katherine Heaton lösen. Doch hatte ich kein Verlangen danach, die Leiche eines ermordeten Menschen auszubuddeln.
Dann sah ich es. Vor meinen Füßen zeichnete sich eine dunkel-ovale Fläche ab. Ich griff zum Spatel, ließ mich auf die Knie sinken und begann behutsam, die oberste Schmutzschicht zu entfernen. Das Oval wurde dunkler. Und größer.
Ich wischte noch mehr Erde beiseite.
Ben und Shelton wandten mir ihre Blicke zu, als sie meine Erregung spürten.
Wischen.
Kratzen.
Tack.
Mein Spatel war auf einen festen Gegenstand gestoßen.
Ich griff nach einem Pinsel und bürstete mit äußerster Vorsicht weitere Schmutzpartikel von der Oberfläche des Objekts.
Ein modriger Geruch stieg aus der Erde auf. Uralt.
Weitere Kostenlose Bücher