Virgil Flowers 03 - Bittere Suehne
fein geschnittenen Gesicht.«
»Aufhören – das Einkommen meines Seelenklempners ist für die nächsten zwei Jahre gesichert«, stöhnte Virgil.
»Sie haben einen Psychiater? Interessant. Das weist auf unerwartete Sensibilität hin.«
»Nicht wirklich. Das war eine Lüge.«
»Ach.«
»Ja. Ich lüge ziemlich oft«, gestand Virgil.
»Tut mir leid. Ich meine, die Lesbensache. Ich wollte Sie nicht an der Nase rumführen.«
»Schon in Ordnung. Die Band hat nicht zufällig eine Hetero-Saxophonistin?«
»Warum tragen die Frauen in Minnesota eigentlich kein Make-up?«, fragte er. »Hier drin sind zehn, ein paar davon wie Sie sehr attraktiv, alle ohne Lippenstift. Ist das Minnesota-spezifisch? Hat das was mit praktischem Denken zu tun? Oder mit Gleichberechtigung? Woran liegt’s?«
»Heutzutage tragen nicht mehr allzu viele Frauen Lippenstift«, erklärte Zoe. »Ist ziemlich viel Arbeit, ihn immer gut aussehen zu lassen. Oft landet er an den Zähnen. Aber wenn man ausgeht, legt man schon mal welchen auf.«
»Auch lesbische Frauen?«
»Manche schon. Die femininen Typen.«
»Ganz schön kompliziert. Egal, ich muss zurück und mich mit Erica McDills Freunden aus den Twin Cities unterhalten. Danke für die Begleitung. Vielleicht komme ich heute Abend wieder, um mir die Band anzuhören und rauszufinden, wie Ihr Typ aussieht.«
»Wendy … Sie ist eine richtige Schlampe, aber sie macht mich an.«
Virgil stand auf. »Zahlen Sie für die Drinks?«
Sie begleitete ihn zu seinem Trailblazer, wo sie ihn fragte: »Haben Sie wirklich nichts dagegen, wenn ich rumerzähle, dass es eine Frau gewesen ist?«
Er zuckte die Achseln. »Nein, machen Sie ruhig. Gibt Gesprächsstoff. Besser als das Internet. Aber passen Sie auf, mit wem Sie reden – wir haben es mit einer Verrückten zu tun.« Die Leute von der Spurensicherung aßen im Eagle Nest zu Abend. Mapes sagte: »Unserer Ansicht nach hat sie das Gewehr auf einem Zehn-Zentimeter-Stamm aufgestützt. Sieht aus, als hätte sie den Stamm ein wenig verschoben. Auf anderen Holzstücken könnte sie sich mit Armen oder Händen abgestützt haben. Die haben wir eingepackt, um eventuelle Fingerabdrücke oder DNS-Spuren zu analysieren. Haare haben wir nicht entdeckt, dafür Baumwollfasern, die von ihrer Bluse stammen könnten. Keine weiteren Patronenhülsen, was bedeutet, dass sie vermutlich nur einen einzigen Schuss abgegeben hat.«
»Liegen vielleicht noch weitere Patronen im Wasser?«, fragte Virgil.
»Das haben wir mit einem Metalldetektor überprüft. Fehlanzeige«, antwortete Mapes.
»Dann bleiben uns im Grunde genommen nur Fingerabdrücke, DNS-Spuren und die Mephisto-Schuhe«, stellte Virgil fest.
»Auf die Fingerabdrücke würde ich mich mal nicht verlassen. Ich hab mir die Patronenhülse genau angesehen. Es scheinen keine Abdrücke drauf zu sein; sie ist ein bisschen ölig. Na ja, möglicherweise findet das Labor was. Außerdem hat sie bestimmt, wenn sie durch den Sumpf gekommen ist, Handschuhe getragen, vielleicht sogar ein Moskitonetz. Am Rand des Sumpfes schwirren so viele Mücken rum, dass wir kaum noch durch unsere Schutznetze schauen konnten.«
Virgil machte sich auf die Suche nach Margery Stanhope. Im Büro schaltete eine Frau, die Virgil noch nicht kannte, die Lichter aus.
»Sie hat sie zur Bibliothek gebracht«, teilte sie ihm mit.
»Äh, wen …?«
»Die Leute aus den Twin Cities. Ms McDills Freunde.«
Lawrence Harcourt, ein Namensgeber der Werbeagentur, war ein schlanker Mann mit kurz geschnittenen weißen Haaren, wachen blauen Augen hinter einer blaugrauen Brille und einem Gesicht, das für sein Alter merkwürdig faltenlos wirkte – hatte er sich liften lassen? Die anderen Freunde von Erica McDill, ein gewisser Barney Mann, Kreativdirektor der Agentur, und Ruth Davies, Ericas Lebensgefährtin, nannten ihn Lawrence, nicht Larry. Obwohl keiner sich ihm unterordnete, lauschten sie ihm aufmerksam, wenn er etwas sagte.
Barney Mann war ein Schrank von einem Mann mit vom Alkohol rotem Gesicht und blonden, ergrauenden Haaren; er hatte einen australischen Akzent. Virgil schätzte ihn auf fünfundvierzig. Er war laut, streitsüchtig und angriffslustig.
Ruth Davies, eine klein gewachsene, fast schon pummelige Frau, wirkte wie betäubt, ein wenig desorientiert, beinahe ungläubig. Mit den braunen Haaren und der Brille erinnerte sie an eine Kirchenmaus. Ihr Mund war schmal: Von wem Erica McDill den Lippenstiftgruß auch immer bekommen hatte, von Ruth
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