Virgil Flowers - 04 - Blutige Saat
Bügel. »Haben Sie ein Messer? Wir müssen die Wunde versorgen.« Sie wagte einen Blick über den Rand der Wanne.
Dunns Gesicht war leuchtend rot, schweißüberströmt und schmerzverzerrt. Er holte ein Schnappmesser aus der Tasche und öffnete es.
Lee schnitt damit einen langen Streifen von dem Handtuch ab und sagte: »Wickeln Sie den rum, so fest es geht.«
Unten riefen Männer etwas, das sie nicht verstand. »Versorgen Sie die Wunde und geben Sie mir das Gewehr«, wies sie Dunn an, bevor sie aus der Wanne stieg, die Waffe nahm und auf den Flur hinausschlich. Die Schüsse waren weniger geworden, doch immer noch rissen Kugeln Verputz und Holz aus der Wand. Als sie einen Blick Richtung Treppe riskierte, sah sie nur den Toten. Sie machte einen schnellen Schritt durchs Treppenhaus, schlüpfte in das nächstgelegene Zimmer, spähte zum Fenster hinaus, entdeckte niemanden auf dem Hof, überprüfte noch einmal die Treppe. Geschosse krachten von unten auf ganzer Länge des Flurs durch den Boden.
Sie trat ans Fenster des zweiten Zimmers, schaute hinaus, nahm einen Mann an der Ecke der Scheune auf der anderen Seite des Hofs wahr. Ohne zu zögern, feuerte sie zwei Schüsse durchs Glas auf ihn ab und hastete über den Flur zurück.
Von unten kamen nach wie vor Schüsse durch den Boden. Den Mann, dachte Lee, musste sie ausschalten. Die Kugel zuvor hatte die Wanne fast durchschlagen. Wenn der Typ auf die Idee kam, senkrecht nach oben zu schießen, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis er Kristy und sie traf. Aufgrund des Einfallswinkels der Schüsse war klar, dass der Mann sich direkt unter ihnen befand. Lee wartete auf die nächste Salve, rannte, als sie vorüber war, an die Stelle und leerte ihr Magazin durch den Boden.
Obwohl sie keinen Aufschrei hörte, hoffte sie, ihm wenigstens einen gehörigen Schreck eingejagt zu haben.
Im Bad lud sie nach und sagte zu Kristy: »Wir schaffen das, Kleines.«
Das Handy klingelte. Sie ging ran. Es war Virgil.
»Es sind zu viele, ein ganzes Dutzend. Von vorn kommen wir nicht ran. Wir versuchen es über das Feld von hinten. Nicht schießen, wenn du Leute in der Richtung siehst.«
»Beeil dich«, sagte sie. »Nur noch eine oder zwei Minuten, dann haben sie uns. Mach schnell, Virgil.«
»Wir sind gleich da«, versprach er.
ZWANZIG
Virgil wandte sich, nachdem er die beiden Highway Patrolmen und die zwei örtlichen Polizisten zu dem Treffen bei Einstadt geschickt hatte, in südliche Richtung zu den Rouses.
»Das kriegt auf der Schrägheitsskala eine Elf«, bemerkte Jenkins, der den Sitz nach hinten gerückt und einen Fuß auf dem Armaturenbrett hatte. »Das Land ist mir nicht geheuer. Ich mag die Stadt lieber.«
»Was ist eigentlich aus der großen Tüte Cheetos geworden?«, erkundigte sich Virgil.
»Ich glaub, die liegt hinter dir. Lass mich nachschauen …« Jenkins holte sie hervor und hielt sie Virgil hin, der eine Handvoll Cheetos herausnahm, die Finger voll klebrig orangefarbener Käsepampe.
»Gib mir doch bitte mal eins von den Feuchtigkeitstüchern, ja? Apropos Schrägheitsskala: Recht viel schräger als in dem Fall, wo du mit Shrake am Lake Elmo warst, kann’s ja wohl nicht werden.«
Jenkins kratzte sich am Ohr. »Das war meiner Einschätzung nach eine Neun.«
»Von wegen Neun«, widersprach Virgil. »Kindesmissbrauch kriegt eine Elf von dir, und …« Sein Handy klingelte, und er kramte es hervor. »Und die Mumie bloß eine Neun? Kindesmissbrauch gibt’s an jeder Ecke, aber wie vielen Mumien bist du in deinem Leben schon begegnet?«
Er hob das Handy ans Ohr und hörte Lee Coakley brüllen. Als sie sich so weit beruhigt hatte, dass er etwas verstand, sagte Virgil: »Haltet noch fünf Minuten durch. Und bleib am Handy.«
Bis dahin waren sie normal auf dem Highway dahingefahren, aber nun gab Virgil Gas. »Jetzt ist Durchladen angesagt, Mann. Bei denen schießt ein Lynchmob die Bude kurz und klein. Jede Menge Leute, ein Polizist ist tot …«
»Hab dir doch gesagt, dass ich’s schräg finde hier draußen.« Jenkins löste seinen Sicherheitsgurt, schaltete das Innenlicht ein, packte eines der Gewehre, lud es, lehnte es neben sein Bein, nahm das zweite, wiederholte den Vorgang, schlüpfte in die kugelsichere Weste und holte die von Virgil aus dem hinteren Teil des Trucks. In einer langgezogenen Kurve fragte er: »Was machen wir? Stürmen wir rein?«
»Eher nicht. Sie sagt, es sind ziemlich viele, alles Farmer mit Jagdgewehren.«
»Die kugelsicheren Westen halten
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