Virgil Flowers - 04 - Blutige Saat
nicht.
Anfangs waren es an die zwanzig Männer gewesen, aber sie hatten Verluste erlitten und sich in ihre Autos geflüchtet, als Jenkins sie mit Feuer belegte. Ein Truck saß mit der Schnauze nach vorn im Graben neben der Auffahrt fest, die Scheinwerfer eingeschaltet. Vor dem Haus lagen zwei Leichen.
Die Stille wurde nur von einem Stöhnen durchbrochen, das von der Scheune herüberdrang. Virgil ging hin und entdeckte einen Mann auf dem Boden, dessen Kopf und Hals voller Blut waren. Vermutlich war er im Gesicht getroffen worden. Wenn er überlebte, würde er blind bleiben.
Sein Jagdgewehr lag neben ihm. Als Virgil es wegkickte, hörte der Mann ihn und versuchte, etwas zu sagen, vielleicht, ihn um Hilfe zu bitten. Doch das Blut in seinem Mund machte seine Worte unverständlich.
Virgil duckte sich hinter das Rad eines alten John-Deere-Traktors neben der Scheune und rief so laut wie möglich: »Jenkins!«
»Hier.«
»Alles in Ordnung?«
»Ja. Wir treffen uns am Ausgangspunkt.«
Virgil schlich zur hinteren Seite des Hauses und erreichte Lee, Dunn und das Mädchen kurz vor Jenkins. Virgil zog telefonisch die Männer von der Highway Patrol und die örtlichen Polizisten von der Beobachtung des Treffens bei Einstadt ab und warnte sie vor den Bewaffneten.
»Wir brauchen Sie hier, aber halten Sie sich von großen Autoansammlungen fern – könnte sein, dass die Ihnen begegnen. Wir haben einen toten und einen verletzten Polizisten. Und wir müssen so schnell wie möglich in den Ort …«
»Sind schon unterwegs.«
»Alles frei?«, erkundigte sich Lee.
»Ich glaube schon«, antwortete Jenkins. »Möglicherweise sind jedoch noch ein paar Verletzte da, die weiterkämpfen wollen. Wir müssen vorsichtig sein.«
»Bob ist tot«, sagte Lee. »Gott, wie soll ich das bloß Jenny erklären?«
Virgil fragte Dunn: »Wie schlimm ist die Blutung?«
»Ich hab Handtuchstreifen drumgewickelt«, stöhnte er. »Die sind durchgeweicht, aber ich werde wohl nicht dran sterben. Mein Fuß ist im Eimer … Ich spüre, wie die Knochen sich verschieben. Mann, tut das weh.«
»Ist Ihnen warm?«, wollte Virgil wissen.
»Ja, einigermaßen.«
Die Flammen züngelten das Treppenhaus hoch wie in einem Kamin und breiteten sich im ersten Stock aus.
Lee verkündete: »Ich muss noch mal auf die andere Seite und brauche jemanden, der mir Deckung gibt.«
»Das übernehme ich«, sagte Virgil.
Er folgte ihr mit Blicken, als sie zur Rückseite des Hauses rannte. Virgil hielt das Gewehr, das mit dem dritten Magazin geladen war, im Anschlag. Dicker schwarzer Rauch drang aus dem Haus, und die Glasscheiben begannen zu bersten. Virgil roch verbranntes Fleisch.
Mindestens zwei Leichen. Das hätten genauso gut Lee, Dunn und das Mädchen sein können.
Beim Haus hievte Lee einen Computer hoch. Als sie wieder bei Virgil war, erklärte sie: »Den hab ich aus dem Fenster geworfen. Achttausend Fotos. Ich konnte ihn nicht in Flammen aufgehen lassen. Hoffentlich ist die Festplatte noch in Ordnung.«
»Da kommen unsere Leute«, bemerkte Jenkins.
Auf der Straße nahte mit hoher Geschwindigkeit ein Wagen mit Blaulicht, auf einem Weg ein weiterer, ebenfalls mit Blaulicht. Die Männer von der Highway Patrol.
Virgils Handy klingelte.
»Alles frei?«
»Ich weiß es nicht. Wir haben mindestens zwei Verletzte, einer von uns und einer von denen. Ich glaube nicht, dass sie einen Hinterhalt gelegt haben, aber seien Sie trotzdem lieber vorsichtig. Warten Sie auf Ihren Kollegen, bevor wir uns die Gebäude vornehmen. Und passen Sie auf, dass Sie sich nicht gegenseitig erschießen …«
»Okay. Sämtliche Notarztwagen aus den drei Countys sind hierher unterwegs. Sieht aus wie im Krieg.«
»Es war wie im Krieg«, konstatierte Virgil und beendete das Gespräch, bevor er zu Jenkins sagte: »Widmen wir uns den Gebäuden und den Trucks.«
Vor und neben dem Haus standen vier leere Wagen, alle von Kugeln durchsiebt.
»Ich hab mein Möglichstes getan, ihnen Angst einzujagen«, erklärte Jenkins.
»Okay, los geht’s«, sagte Virgil.
Mit Lees Taschenlampe suchten sie die kleine Scheune ab, eine Werkstatt, in der es nach Benzin roch. Als sie den Strahl der Lampe über die zweite, größere Scheune wandern ließen, erklang die Stimme eines Mannes: »Lassen Sie mich am Leben.«
»Kommen Sie raus«, forderte Virgil ihn auf.
Er trat mit den Händen über dem Kopf heraus, ein großer, grobknochiger Farmer um die zwanzig mit langen Haaren und Tarnjacke. Mit der Jacke wirkte er
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