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Virtuelles Licht

Virtuelles Licht

Titel: Virtuelles Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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tot wie er, und sich dann dieses Wandgemälde ansehen zu müssen.
    ›DOCH ER LEBT JETZT IN UNS‹, stand unter
    dem Gemälde in dreißig Zentimeter hohen weißen
    Lettern, ›UND DURCH IHN LEBEN WIR.‹
    229
    Und das war buchstäblich wahr. Rydell hatte eine Schutzimpfung bekommen, die es bewies.
     
    230

Kondensator
    Chevettes Mutter hatte mal einen Freund namens
    Oakley gehabt, einen Quartalssäufer, der Holztrucks fuhr, wenn er gerade nicht soff, jedenfalls sagte er das.
    Er war ein langbeiniger Mann mit blauen Augen, die ein bißchen zu weit auseinanderstanden, und einem Gesicht mit tiefen Furchen auf beiden Wangen. Dadurch sah er wie ein richtiger Cowboy aus, meinte Chevettes Mutter.
    Chevette fand nur, daß er irgendwie einen gefährlichen Eindruck machte. Was er normalerweise nicht war, außer wenn er ein oder zwei Flaschen Whiskey intus hatte und nicht mehr wußte, wo oder vor wem er gerade rumlallte; besonders dann, wenn er Chevette irrtümlicherweise für ihre Mutter hielt, was ein paarmal vorgekommen war. Sie konnte ihm jedoch immer entwischen, und es hatte ihm hinterher jedesmal leid getan; er hatte ihr Ringdings — Schokokuchen mit Cremefüllung — und Sachen aus dem kleinen Supermarkt um die Ecke gekauft. Aber der Grund,
    warum sie sich jetzt an Oakley erinnerte, als sie durch die Luke auf diesen Kerl mit seiner Kanone hinunterschaute, war, daß er sie einmal in den Wald 231
    mitgenommen und mit einer Pistole hatte schießen
    lassen.
    Und der da hatte auch so ein Gesicht wie Oakley,
    solche Augen und solche Furchen in den Wangen. Wie man sie bekam, wenn man viel lächelte, was er jetzt tat.
    Aber es war ein Lächeln, bei dem sich garantiert kein Mensch wohlfühlen würde. Gold in den Winkeln.
    »Jetzt komm hier runter«, sagte er, wobei er jedes Wort gleich betonte.
    »Wer, zum Teufel, bist du denn?« Skinner klang eher interessiert als verärgert. Die Pistole ging los. Nicht sehr laut, aber scharf, mit einem blauen Blitz. Sie sah, wie sich der Japaner auf den Boden setzte, als ob seine Beine unter ihm nachgegeben hätten, und dachte, der Kerl hätte ihn erschossen.
    »Schnauze!« Dann nach oben zu Chevette: »Ich hab
    gesagt, du sollst runterkommen.«
    Dann berührte Sammy Sal sie im Nacken. Seine
    Fingerspitzen schoben sie zur Luke, dann zog er sie wieder zurück.
    Vielleicht wußte der Kerl nicht mal, daß Sammy Sal hier oben war. Sammy Sal hatte die Brille. Und eins war Chevette jetzt klar: Dieser Kerl war kein Cop.
    »Tut mir leid«, sagte der Japaner. »Tut mir leid, ich ...«
    »Ich schieß dir gleich eine Infraschall-Titanium-Kugel ins rechte Auge.« Immer noch lächelnd, so wie er vielleicht sagen würde: Ich spendier dir ein Sandwich.
    232
    »Ich komm ja schon«, sagte Chevette. Und er schoß nicht, weder auf sie, noch auf den Japaner.
    Sie glaubte zu hören, wie Sammy Sal auf dem Dach
    zurücktrat, weg von ihr, aber sie schaute nicht zurück.
    Sie wußte nicht recht, ob sie versuchen sollte, die Luke hinter sich zuzumachen oder nicht. Sie entschied sich dagegen, weil der Kerl ihr nur befohlen hatte, herunterzukommen. Sie würde über den Rand des
    Lochs hinauslangen müssen, um die Klappe zu fassen zu kriegen, und das würde für ihn vielleicht so aussehen, als ob sie nach einer Waffe griff. Wie im Fernsehen.
    Sie stieg von der untersten Sprosse auf den Boden und versuchte, ihre Hände dort zu lassen, wo er sie sehen konnte.
    »Was hast du da oben gemacht?« Immer noch
    lächelnd. Seine Pistole hatte keinerlei Ähnlichkeit mit Oakleys großem, altem brasilianischen Revolver; sie war ein kleines, stummeliges, rechteckiges Ding aus stumpfem Metall, von der gleichen Farbe wie Skinners altes Werkzeug. Ein dünner Ring aus einem helleren Metall um das kleine Loch am Ende. Wie die Pupille in einem Auge.
    »Hab mir die Stadt angesehen«, sagte sie ohne
    sonderlich große Angst. Sie fühlte überhaupt nichts, nur ihre Beine zitterten.
    Er schaute nach oben. Die Pistole blieb genau dort, wo sie war. Sie wollte nicht, daß er sie fragte, ob sie da oben allein gewesen war, denn die Antwort konnte in 233
    der Luft hängenbleiben und ihm verraten, daß sie log.
    »Du weißt, weshalb ich hier bin.«
    Skinner saß aufrecht im Bett, mit dem Rücken an der Wand, und sah wacher aus, als sie ihn je gesehen hatte.
    Der Japaner, der nun doch nicht den Eindruck machte, als ob er eine Kugel abbekommen hätte, saß auf dem Boden, die dünnen Beine in V-Form vor sich ausgestreckt.
    »Geld oder Drogen, schätze

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