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Virtuelles Licht

Virtuelles Licht

Titel: Virtuelles Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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ich«, sagte Skinner,
    »aber da hast du zufällig Pech gehabt. Ich kann dir fünfundsechzig Dollar und 'nen uralten Humboldt-Joint geben, wenn dich das glücklich macht.«
    »Schnauze!« Als das automatische Lächeln
    verschwand, war es, als ob er gar keine Lippen hätte.
    »Ich rede mit ihr.«
    Skinner sah aus, als ob er drauf und dran wäre,
    etwas zu sagen oder vielleicht zu lachen, aber er tat es nicht.
    »Die Brille.« Jetzt war das Lächeln wieder da. Er hob die Pistole, so daß sie direkt in das kleine Loch blickte.
    Wenn er mich erschießt, dachte sie, muß er weiter nach ihr suchen.
    »Hepburn«, sagte Skinner mit einem verrückten
    kleinen Grinsen, und in diesem Moment bemerkte
    Chevette, daß Roy Orbison auf dem Poster ein Loch mitten in der grauen Stirn hatte.
    »Da unten«, sagte sie und zeigte auf die Bodenluke.
    »Wo?«
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    »Mein Rad.« Sie hoffte, daß Sammy Sal im Dunkeln
    nicht gegen den rostigen alten Wagen da oben stieß und ein Geräusch machte.
    Er schaute zur Dachluke hinauf, als könnte er hören, was sie dachte.
    »Stütz dich mit den flachen Händen an die Wand
    da.« Er kam näher. »Beine auseinander ...« Die Pistole berührte ihren Hals. Seine andere Hand glitt unter Skinners Jacke und tastete sie nach einer Waffe ab.
    »Bleib so.« Er hatte Skinners Messer übersehen, das mit der Fraktalklinge. Sie drehte den Kopf ein wenig und sah, daß er mit einer Hand etwas Rotes und Gummiartiges um ein Handgelenk des Japaners
    wickelte. Sie dachte an die süßen, weichen
    Gummischlangen, die man aus einem großen Plastikglas kaufte. Er zerrte an dem roten Ding und schleifte den Japaner über den Boden zu dem Tischbord, an dem sie gefrühstückt hatte. Er schob ein Ende des roten Geschlängels hinter das Winkeleisen, das den Tisch hielt, und wickelte es dann um das andere Handgelenk des Burschen. Dann holte er noch eins aus seiner Tasche und schüttelte es wie eine Spielzeugschlange, griff damit hinter Skinners Rücken und machte etwas mit seiner Hand. »Du bleibst auf dem Bett, Alter«, und er hielt Skinner die Pistole an die Schläfe. Skinner sah ihn bloß an.
    Er kam zu Chevette zurück. »Du kletterst die Leiter runter. Deine brauch ich vorn.«
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    Das Ding war kühl und glatt und verschmolz mit sich selbst, sobald er es um ihre Handgelenke gelegt hatte.
    Es floß ineinander. Bewegte sich von allein. Rubinrote Kunststoffarmbänder, wie ein Kinderspielzeug. Einer der Tricks mit Molekülen.
    »Ich behalte dich im Auge«, warnte er sie mit einem weiteren Blick nach oben zur offenen Dachluke, »also steig einfach brav und schön langsam runter. Und falls du springst oder wegrennst, wenn du unten ankommst, leg ich dich um.«
    Sie zweifelte nicht daran, daß er es tun würde, wenn er konnte, aber sie erinnerte sich an etwas, was Oakley ihr damals im Wald erzählt hatte, nämlich wie schwer es sei, etwas zu treffen, wenn man fast senkrecht nach unten schießen mußte; und senkrecht nach oben sei noch schwerer. Vielleicht war es also am besten, einfach zu projen, wenn sie unten ankam. Sie mußte nur knappe zwei Meter von der Leiter wegkommen, dann konnte er sie nicht mehr sehen. Aber dann schaute sie ins schwarzsilberne Auge der Pistole, und die Idee kam ihr nicht mehr so gut vor.
    Also ging sie zu dem Loch im Boden und kniete sich hin. War gar nicht so einfach mit gefesselten Händen. Er mußte sie festhalten, indem er sich eine Handvoll von Skinners Jacke griff, aber sie bekam die Füße auf die dritte Sprosse und die Finger um die oberste und arbeitete sich auf diese Weise nach unten. Sie mußte die Füße auf eine Sprosse stellen, diejenige loslassen, an der 236
    sie sich festhielt, und die nächste darunter schnappen, bevor sie das Gleichgewicht verlor. Und dann das ganze wieder von vorn.
    Aber sie begann nachzudenken, während sie das tat, und das half ihr, die Entscheidung zu treffen, ihren Plan wirklich auszuführen. Es war merkwürdig, so zu denken; sie war auch ganz ruhig dabei. Es war jedoch nicht das erste Mal. In Beaverton war es ihr genauso gegangen, in der Nacht, als sie über den Zaun geklettert war, und zwar ohne weitere Planung. Und dann auch, als diese Trucker versucht hatten, sie in ihre Schlafkabine hinten im Truck zu zerren; sie hatte so getan, als ob sie nichts dagegen hätte, dann hatte sie einem der beiden einen Thermosbecher heißen Kaffee ins Gesicht geschüttet, dem anderen gegen den Kopf getreten und war rausgesprungen. Sie hatten sie eine Stunde lang mit Taschenlampen

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