Virtuosity - Liebe um jeden Preis
Bühne kam und seinen Applaus entgegennahm. Aber dann wurde das Glücklichsein oberflächlich und die Oberflächlichkeit wurde selbstverliebt. Mit erhobenen Armen drehte er mitten auf der Bühne eine langsame Ehrenrunde, fast so, als versuche er, sich die ganze Anbetung einzuverleiben.
Ich merkte, wie sich der Ekel zurück in meinen Magen schlich. Die Musik hatte ihn für eine Weile eingefroren, aber er war immer noch da und taute schnell auf. Jeremy schenkte dem Dirigenten ein arrogantes Lächeln und warf den Kopf in den Nacken, um seinen lächerlichen Pony aus dem Gesicht zu schütteln. Was für ein Idiot!
Dann kam er ein letztes Mal mit erhobenen Händen auf die Bühne, diesmal sogar noch langsamer, als wolle er sagen, bitte nicht schießen . Er ergab sich. Wir hatten gewonnen. Er würde eine Zugabe spielen. Er reckte sich zum Dirigentenpult, legte eine Hand auf die Schulter des Dirigenten, beugte sich vor und flüsterte ihm etwas zu. Was auch immer er gesagt hatte, schien den Dirigenten zu überraschen, der sich dann kurz mit den Stimmführern unterhielt. Es folgte ein wildes Umblättern, während jeder Musiker auf der Bühne in seinen Noten nach der richtigen Musik suchte.
»Es scheint«, wandte sich der Dirigent an uns, »dass es sich der junge Maestro anders überlegt hat, was seine Zugabe angeht. Er hat Glück, denn wir werden dieses Stück nächste Woche aufführen und haben die Noten deshalb zur Hand.« Er lachte kurz auf. Es klang gezwungen und oberflächlich. Vielleicht war ich nicht die Einzige, der Jeremys Egozentrik auf die Nerven ging.
Jeremy bemerkte es nicht oder nahm keine Notiz. Sein Gesichtsausdruck machte deutlich, dass er nicht über die Möglichkeit nachgedacht hatte, dass es vielleicht nicht klappen könnte.
Der Dirigent schniefte und hob eine Augenbraue. Jeremy interpretierte es als sein Stichwort.
»Ich fürchte, ich habe heute Abend eine dramatische Ader«,begann er. Das Publikum lachte, vor allem wegen seines englischen Akzents. Woran lag es, dass das britische Englisch so charmant klang?
»So dramatisch«, fuhr er fort, »dass ich gern etwas aus meiner Lieblingsoper spielen möchte. Es ist Pablo de Sarasates Interpretation einer kleinen Oper von Bizet, die Ihnen vielleicht geläufig ist.« Er klemmte sich die Geige unter das Kinn, wandte sich Loge B zu und sah mir direkt in die Augen.
Mein Magen hob und hob sich.
» Carmen Fantasie «, verkündete er und hob den Bogen.
Zum ersten Mal seit der Beethoven verklungen war lächelte er nicht. Sein Gesicht hatte all die Aggression eines Matadors, der in die Augen eines Stiers blickt. Er hätte genauso gut ein rotes Tuch vor meinen Augen hin und her schwenken können, als die Cellisten mit dem temperamentvollen Zigeunerthema aufspielten.
Am liebsten hätte ich den Kopf in den Händen vergraben und wäre gestorben, aber ich konnte mich einfach nicht von seinem Blick lösen. Schließlich sah er weg, konzentrierte sich auf seine Geige und verlor sich in der Musik, ohne noch einmal zurückzublicken.
Er spielte Carmen perfekt. Glaube ich zumindest. Denn ich hörte nur halb zu. Mein Gehirn war zu sehr damit beschäftigt, über den steinigen Abgrund von Trauma und Panik zu stürzen und sich mit den Fingerspitzen an der Kante festzuklammern. Lieber Gott, lass bitte den Erdboden aufbrechen, mich sich einverleiben und mit Haut und Haaren verschlucken .
Kapitel 8
Ich fuhr mit den Fingern über die geprägten Buchstaben. JEREMY KING . Die übertriebene Kursivschrift erinnerte mich an seinen Akzent. Affektiert. So schräg, dass sie umzufallen drohte. Ich unterdrückte den Drang, das Schild von der Tür der Garderobe zu reißen und es in meine Tasche zu stopfen. Bald müsste man es sowieso herunternehmen. Morgen Abend wäre es nämlich meine Garderobe, was bedeutete, es gab irgendwo ein identisches Schild mit Carmen Bianchi in der gleichen verschnörkelten Schrift, das darauf wartete, aufgehängt zu werden. Ich täte ihnen also sogar einen Gefallen. Es war ein angenehmer Gedanke, dass Jeremy so einfach entfernt und ersetzt werden konnte.
Ich glättete die Falten auf meinem Kleid. Eigentlich hatte ich gehofft, damit in der Menge der Cocktailkleider zu verschwinden, aber jetzt, jetzt schien es eindeutig zu … schick. Jeremy sollte auf keinen Fall denken, dass ich ihn in irgendeiner Weise beeindrucken wollte. Natürlich hatte ich nicht damit gerechnet, dass ich zu seiner Garderobe gehen würde, um mit ihm zu sprechen. Dazu hatte er mich jetzt
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