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Virtuosity - Liebe um jeden Preis

Virtuosity - Liebe um jeden Preis

Titel: Virtuosity - Liebe um jeden Preis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Martinez
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bereitete dem Publikum Unbehagen.
    Laut Diana ist die Bühnenpräsenz keine Kunst. Kunst ist in seinen Regeln biegsam, es gibt kein Richtig oder Falsch. Dagegen ist Bühnenpräsenz viel berechenbarer. Es ist eine Wissenschaft, eine Wissenschaft mit Formeln, die mir eingebläut worden waren – aber Jeremy schien keine von ihnen zu kennen.
    Der Dirigent streckte ihm die Hand entgegen und Jeremy schien fast überrascht. Er hielt kurz inne, schüttelte sie dann, stimmte seine Geige mit ein paar nachlässigen Bogenstrichen und Zupfen. Als er sich zum Publikum umdrehte, wurde die Stille unangenehm. Sein Gesichtsausdruck war grimmig. Die Leute sahen auf den Schoß und rutschten auf ihren Stühlen umher. Ich musste mich anstrengen, es nicht auch zu tun. Er hatte nicht nur schlechte Laune, er starrte zornig. Und dann, als das Unbehagen fast nicht mehr zu ertragen war, breitete sich ein fettes Grinsen auf seinem Gesicht aus. ErleichtertesGelächter erfasste das Publikum und wärmte die Atmosphäre auf. Das Publikum seufzte auf und es schien, als hätte es einen ungemein komischen Witz gehört.
    Ich sah mich um. Jeder grinste sich zufrieden ins Fäustchen und nahm eine bequemere Haltung auf dem Stuhl ein, aber ich konnte da einfach nicht mitmachen. Ich wollte sein Spiel nicht spielen. Was für einen Trick auch immer er angewandt hatte, es wirkte billig und schäbig auf mich. Und passte ganz und gar nicht zu Beethoven. Warum spielte er nicht einfach die Musik?
    Jeremy grinste immer noch, hob dann eine Augenbraue und wartete auf unsere ungeteilte Aufmerksamkeit. Das Zappeln und Knistern erstarb und alle waren wieder in seinem Bann. Er schloss die Augen, nahm die Erwartung der Menge für eine weitere Sekunde in sich auf und tat dann das Undenkbare. Mit einem Schlenker seines Handgelenks warf er die Geige in die Luft. Sie schraubte sich in die Höhe und drehte sich gleichzeitig auf seinen Körper zu. Ich schnappte nach Luft. Wir alle taten es und sahen zu, wie die Geige wie durch ein Wunder auf seiner Schulter landete, wo die andere Hand bereits wartete. Diesmal war das Gelächter mehr als eine bloße Welle. Es explodierte förmlich und erfasste den ganzen Konzertsaal.
    Mein Kiefer verkrampfte sich und ich unterdrückte den Drang, die Hände um den Mund zu legen und Buh zu rufen. Stattdessen überlegte ich mir eine Liste mit Adjektiven, von denen ich hoffte, dass sie in den Kritiken des Konzerts auftauchen würden: lächerlich, kindisch, beleidigend, armselig …
    Das Violinkonzert von Beethoven ist eines der edelsten Musikstücke im ganzen Geigenrepertoire und Jeremy hatte das Konzert gerade mit der Würde einer Robbe im Zirkus begonnen, die einen Ball auf ihrer Nase balanciert. Irgendwo auf dem Wiener Zentralfriedhof drehte sich Beethoven im Grab um und trommelte vor Höllenqualen mit den Fäusten.
    Jetzt spiel endlich .
    Jeremy blickte sich im Konzertsaal um und ich erkannte, dass ich einen Fehler gemacht hatte. Loge B war zu offen. Allein hier zu sitzen machte es noch schlimmer. Ich hatte mir die ganze Zeit über Sorgen gemacht, dass mich jemand im Publikum wiedererkennen könnte, aber jetzt wurde mir klar, dass ich in der Menge zumindest hätte untertauchen können. Ich duckte mich auf meinem Sessel und hoffte, dass die Loge dunkel genug war. Dann rutschte ich mit dem Sessel in den Schatten des Vorhangs.
    Schließlich nickte Jeremy dem Dirigenten zu.
    Das Orchester begann mit der Einleitung und Jeremys Gesicht veränderte sich. Das Grinsen war verschwunden. Sein Blick heftete sich an das hintere Ende des Saales, als blickte er über ein nebliges Feld hinweg.
    Ich sah hinab. Die Gesichter unter mir leuchteten in der Reflexion des Bühnenlichts. Sie waren in ihn verliebt, obwohl er noch keine einzige Note gespielt hatte.
    Sah mich das Publikum genauso an? Ich hatte absolut keine Ahnung. Ich wünschte es mir. Allerdings wollte ich wegen meiner Musik geliebt werden und nicht wegen irgendwelcher Mätzchen und dramatischer Auftritte. Aber ich wollte schon , dass die Leute so zu mir aufsahen und vor Vorfreude ganz auf die vorderste Stuhlkante rutschten.
    Vielleicht war ich immer ganz falsch aufgetreten.
    Wenn ich auf der Bühne stand, existierte das Publikum gar nicht. Es war sicherer, mir die Konzertbesucher als gesichtslose Umrisse in einer anonymen Masse vorzustellen oder noch besser, überhaupt nicht an sie zu denken. Wie Juri immer sagte: »Publikum sind alles Idioten.« Dabei zog er ein säuerliches Gesicht, um

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