Virtuosity - Liebe um jeden Preis
hervorzuheben, wie sehr ihn ihre Erbsenhirne beleidigten. »Was wissen die schon? Du spielst für Komponisten. Musik gehört ihm .«
Diana hatte es anders ausgedrückt. »Spiel für dich selbst«, hatte sie mir geraten. »Die Bühne gehört dir. Wenn du da oben stehst, geht es nur um dich.« Dann hatte sie in einem etwas weniger idealistischen Tonfall hinzugefügt: »Aber als deine Managerin kann ich dir nur sagen, dass du um Himmels willen lächeln sollst, wenn du auf der Bühne bist. Niemand möchte gern von einem mürrischen Teenager angestarrt werden.«
Ich hätte am liebsten protestiert. Ich war Musikerin und keine Schauspielerin. Auf Kommando lächeln zu müssen erinnerte mich immer an Schönheitswettbewerbe und schließlich wollte ich nicht Miss Illinois werden. Was käme dann? Müsste ich mir Vaseline auf die Zähne streichen und mein Dekolleté mit Klebeband absichern? (Laut Heidi machten die das wirklich so bei Schönheitswettbewerben.) Aber bei Diana war es manchmal einfacher, nur zu nicken.
Jeremy setzte den Bogen zum Spielen an. Gleichzeitig hielt ich die Luft an und begann, ohne darüber nachzudenken, ein lautloses Stoßgebet. Bitte Gott, lass mich etwas Schlechtes hören. Nicht direkt einen Fehler, aber einen tieferliegenden fundamentalen Makel. Ein zu enges Vibrato wäre perfekt. Aber die Erkenntnis, dass Gott wohl kaum Leute auf Wunsch bestrafte, insbesondere, wenn der Wunsch von einer Halbgläubigen wie mir stammte, hielt mich davon ab, um mehr zu bitten. Ich fügte noch nicht einmal ein Amen hinzu. Wer weiß, vielleicht betete Jeremy ja auch gerade. Seine Bitte würde meine mit Sicherheit übertrumpfen. Zwar wusste ich nicht, welcher Religion er angehörte, aber falls er nur annähernd gläubig war, hatte er mir etwas voraus.
Jeremys Bogen glitt über die Saiten und die Eröffnungsnoten umfingen mich. Was für ein Ton! Er hielt mich davon ab, weiter um Hässlichkeit zu beten. Er ließ mich an Süße denken, an Sonnenschein und Vanille. Er ließ mich jede Sorge vergessen und hüllte mich ein.
Jedermann im Publikum spürte es. Die Noten flogen aus Jeremys Instrument über uns hinweg und es war, als wären wir hypnotisiert. Er erschuf eine Geschichte, die über die pure Musik hinausging und uns verzauberte. Mit jeder Phrase fügte er eine neue Ebene hinzu, einen weiteren Charakter. Er glitt über die Saiten und verwob unsmit dem Stück, bis wir nicht mehr sicher waren, wo wir aufhörten und die Musik begann.
Ich konnte nicht wegsehen. Er war atemberaubend. Die Geige saß hoch auf seiner Schulter und wirkte unmöglich klein in seinen Händen. Er spielte, als sei es kinderleicht, als sei es nicht der Rede wert. Die Arroganz war verflogen und was zurückblieb war … Ruhe? Wie war das möglich? Seine Augen waren geschlossen und er wirkte, als befände er sich in der Musik.
Es war beinahe schmerzhaft, den Blick abzuwenden, aber ich zwang mich dazu. Der Klang war zu viel. Er konnte einfach nicht so perfekt sein. Einnehmend, ja, aber nicht vollkommen makellos. Ich schloss die Augen und hörte genau zu. Ich wäre schon mit dem kleinsten Bruch zufrieden gewesen.
Aber es gab keinen. Alles war brillant und perfekt.
Im zweiten Satz war ich traurig. Neid und Frustration hätten mehr Sinn ergeben, aber die hätten mir ein Feuer abverlangt und ich spürte nichts als einen kalten Schmerz hinter den Rippen. Es war zu schön, aber ich konnte einfach nicht anders und musste hinhören. Ich konnte ihn nicht einmal mehr hassen.
Eigentlich hatte ich geplant, kurz vor Ende des Programms zu verschwinden, aber ich hatte ja nicht ahnen können, dass es sich so anfühlen würde. Ich wollte nicht gehen. Ich glaubte nicht einmal, dass ich aufstehen könnte. Und was machte das jetzt schon noch? Ich wollte alles hören. Er hämmerte durch die letzten Noten und riss mich mit sich. Ich hatte das Gefühl, von Pferden überrannt zu werden.
Das Publikum unter mir konnte nicht einmal abwarten, dass es still wurde. Sobald der Bogen die Saite verlassen hatte, explodierte der Applaus. Die Menge sprang auf, klatschte wild und rief » Bravo !«. Ich war zu schwach, um auch nur irgendeine Reaktion zu zeigen und ließ das Chaos um mich herum geschehen.
Von meinem sicheren Sitzplatz aus beobachtete ich, wie sich Jeremys Gesichtsausdruck änderte und seine Persönlichkeit langsamwieder zurückkam. Zunächst sah er nur glücklich aus und voller Energie. Er verbeugte sich, grinste und winkte, während er wieder und wieder auf die
Weitere Kostenlose Bücher